Blind Date mit Folgen - Roman
seinen Kumpels nach Vorarlberg und ging dort auf Hirsch- oder Wildschweinjagd. Seine kühnen Erlebnisse gab er jeweils am Montagmorgen im Büro preis. Maira war überzeugt, dass dieser Rückzug eher ein Vollzug war, nämlich der, seine Männlichkeit auszuleben, das würde Borer allerdings nie zugeben.
Und auch diese Anekdoten kannte Maira auswendig, es war nämlich immer das Gleiche: Zuerst saß man auf dem sogenannten ›Hochstuhl‹ und sinnierte stundenlang über Gott und die Welt, dann – während weiterer Stunden – wurde auf das Wild gewartet, welches die Männer innert Sekunden erlegten. Anschließend trugen sie das Tier zurück zur Jagdhütte, wo es für den Transport in die Schweiz vorbereitet wurde. Schließlich kam der Höhepunkt: Bis in die frühen Morgenstunden hinein wurde (ganz und gar sozialkompetent) philosophiert, gesoffen, gerülpst und gefurzt. Dies war für ihren Chef der Inbegriff eines bewegten, abenteuerlichen Wochenendes. Robin Hood war ein Witz dagegen.
»Es kann nicht angehen«, unterbrach Borer ihre Gedanken, »dass wegen deiner Nachlässigkeit das Blatt zu spät in Druck geht und du obendrein Blattmacher Müller vergraulst, indem du vor seinen Mitarbeitern seine Arbeit bemängelst. Selbst wenn du im Recht bist: Der Mann ist seit über 30 Jahren im Geschäft, Maira. Da benötigt es mehr Fingerspitzengefühl.«
Wenn Borer sie mit ihrem Namen ansprach, war er wirklich wütend.
Maira sank immer tiefer in ihren Sessel und wusste nichts zu erwidern.
Das Chefbüro wirkte kahl. Abgesehen vom Geweih, dem PC, einem Foto, das den groß gewachsenen Mann mit seiner fast ebenso großen Frau in den Ferien zeigte und einem Blatt Papier, das vor ihm lag, war es praktisch leer. Weder Zeitungen noch Akten noch sonst etwas lagen herum. Das psychoanalytisch zu erklären, dürfte interessant sein, dachte Maira. Sein Räuspern brachte sie wieder zum Thema zurück.
Er hatte ja recht. Es war falsch gewesen, Müller vor seinen Mitarbeitern darauf hinzuweisen, dass er den Druck problemlos eine Stunde hinauszögern konnte, wenn das Blatt ansonsten stand. Denn sie wusste doch ganz genau, dass es auch dann noch reichte. Wie oft wurde die Drucklegung wegen ›Breaking News‹ gar bis nach Mitternacht verschoben? Also machte die verspätete Abgabe ihrer Kolumne rein gar nichts aus und Müller musste sich deswegen nicht gleich aufspielen, als ob er der Druckmaschinengott persönlich wäre. Ihre Kolumne war eines der Kernstücke von ›Täglich Zürich‹, allein deswegen sollte sie ihre Frist hie und da strecken dürfen. Dieses Recht hatte sie in letzter Zeit einige Male für sich in Anspruch genommen.
»Was war denn los, warum warst du zu spät?«, wollte Borer nun wissen.
Keine Ahnung. Sie war einfach den ganzen Tag über ideenlos gewesen – was selten vorkam –, hatte keinen Text mehr auf Vorrat und als ihr am späteren Nachmittag eine Geschichte zum Nationalfeiertag am ersten August eingefallen war, war ihr die Zeit davongerannt. Ihre Kolumne musste vor dem Druck ja noch durch die Redaktion gehen. Dafür, dass sie in den letzten Wochen nicht für genügend Nachschub gesorgte hatte, könnte sie sich selbst ohrfeigen. Das war ihr in bald fünf Jahren in dem Job noch nie passiert.
»Übrigens, was ich dir schon früher sagen wollte: Die Kolumne über die Mister-Schweiz-Wahl war ganz okay, aber du bist zu mehr fähig. Ich hab verstanden, dass du viel Ironie in den Text packen wolltest, ich glaube aber, du warst die Einzige, die das witzig fand. Du hast den Typen so beschrieben, wie diese Typen eben sind, und deshalb hab ich’s nicht besonders lustig gefunden, der Leser wahrscheinlich ebenso wenig.«
Autsch. Das war ihr natürlich selbst bewusst gewesen, aber es so direkt von Borer zu hören, war nochmals etwas anderes. Was war bloß los? Hatte sie ihre Schreibkunst auf einmal verlassen? Früher wurde sie von ihm immer gelobt!
»Aber kein Problem, ich bin sicher, die nächste wird wieder besser«, fuhr er fort.
Wie sollte die nächste Kolumne besser werden, wenn es ihr an Inspiration mangelte und sie Tausend andere Dinge im Kopf hatte?
»Maira, du weißt, dass ich dich immer unterstützt habe. Mit deinen Ideen, in deinen Ansichten. Deine Kolumnen gehören nach wie vor zu den besten, das ist der Grund, weshalb ich dich nicht an eine andere Zeitung verlieren will, und ich weiß von deinen Angeboten. Dennoch kannst du dich nicht über alle Regeln hinwegsetzen und dich schon gar nicht mit Mitarbeitern
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