Blinde Verführung (German Edition)
allen Farben wahrnehmen, hatte eindeutig gelogen!
„Schaff sie sofort hier weg“, herrschte Ethan Gregori an, während Heidi einen Riesenaufstand machte und Marlene das vermeintliche Blut mit ihrer hastig abgestreiften Bluse wegtupfte. „Ich rufe jetzt die Polizei und ich erwarte, dass ihr eine Aussage macht.“
„Ja, natürlich.“ Gregoris Gesicht war immer noch sehr blass. „Es tut mir schrecklich leid, dass müsst ihr mir glauben.“
„ Svinja sabaka ! Wag nicht, für mich zu entschuldigen!“ Evelina wand sich wie eine Furie. Ein ganzer Schwall an russischen Unflätigkeiten rief die Leute auf den Plan, die vorher nichts gehört haben wollten. Es wurde gemurmelt, mit Fingern gezeigt und natürlich mit Handys gefilmt. „Ich kriege sie! Hört ihr? Ich kriege diese sterva !“
Etliche Gaffer wichen ein paar Schritte zurück, und nun kamen auch endlich ein paar Mitarbeiter heran und taten so, als hätten sie alles im Griff.
Marlene überließ es Ethan, sich um das alles zu kümmern. Sie starrte nur Evelina an, die sich immer mehr in ihren Wutausbruch hineinsteigerte. Ihr Cousin hatte Mühe, sie überhaupt festzuhalten, sogar mit Hilfe eines kräftigen Kassierers, aber noch weniger konnten seine gemurmelten Worte etwas bewirken. In diesem Moment traf sie die Erkenntnis wie ein Blitzschlag.
„Sie ist wirklich krank“, flüsterte Marlene benommen.
„Hast du etwa Mitleid?“, fragte Heidi harsch.
Marlenes Hände waren klamm und zitterten zwischen den warmen Fingern ihrer Freundin. „I-ich weiß nicht.“
„Typisch du. Wenn das Theater vorbei ist, schaffen wir dich sofort nach Hause. Ich bin mir sicher, dass dein Künstler auch einen Arzt in seinem Freundeskreis hat. Der kann sich nachher in Ruhe um dich kümmern.“
„Bitte nicht. Patrick macht sich bestimmt sowieso schon Sorgen. Es ist doch nichts passiert.“
„Außer einem kleinen Schock meinst du.“ Kritisch musterte Heidi sie, gab letztlich aber mit einem genervten Seufzen nach. „Na gut, aber nur, weil sie wegen des Miststücks sowieso einen Krankenwagen gerufen haben. Tu mir nur einen Gefallen und rede mit ihm darüber. Er wollte dich beschützen, und was hat es gebracht? Rein gar nichts.“
„Er kann doch nichts dafür.“
Heidi atmete frustriert tief durch. „Ich hab’s verbockt, ich weiß, und glaub mir, ich könnte mich dafür ohrfeigen, dass wir dich überhaupt alleine hier haben rumlaufen lassen.“
Marlene zwang ihre Lippen zum Sprechen. „Keiner konnte ahnen, dass sie in einem Supermarkt auftaucht.“
„Denkst du, das interessiert mich noch, wenn eine durchgeknallte Tussi gerade meine beste Freundin abstechen wollte? Wir hätten es besser wissen müssen und ich habe keine Ahnung, wie ich das wieder gut machen soll.“
„Als ob du weniger wegen ihr mitgemacht hättest.“
„Blödsinn. Verstecken und James Bond spielen ist für eine Weile ganz lustig, aber so was hier … nein. Damit wollte ich nie was zu tun haben. Und dein Bildhauer auch nicht, aber es ist nun mal sein Ballast, also soll er sich darum kümmern, wenn was schief geht. Versprich mir, dass du nichts auslässt. Er hört es sowieso von seinen Freunden.“
Marlene war viel zu erschöpft, um dieser Bitte zu widersprechen, vor allem, da soeben ausgerechnet Steve mit zwei weiteren Polizeibeamten aufgetaucht war. „Sogar eher als mir lieb sein dürfte.“
Heidi stieß einen leisen Pfiff aus. „Uh-oh.“
Steve grüßte sie knapp und runzelte beim Anblick der roten Flecken auf Marlenes Shirt die Stirn. „Bei euch beiden geht’s ja hoch her. Was ist passiert? Bist du verletzt?“
Marlene beruhigte auch ihn und gab dann alles zu Protokoll. Erst bei der Erzählung, mit ein wenig Abstand zur Situation, wurde ihr bewusst, wie verrückt das alles eigentlich klang. Und es klang nicht nur so, es war verrückt. Eine junge Frau hatte versucht, sie wegen eines Mannes umzubringen! Mit einem Mal konnte sie die Tränen nicht mehr unterdrücken, die ihre Augen schon seit einigen Minuten brennen ließen.
„Komm, der Krankenwagen steht draußen“, murmelte Steve. „Schön ruhig atmen … das ist nur der Schock. Das geht wieder vorbei.“ Er übergab sie in die fähigen Hände des Rettungspersonals und ging sich die restlichen Details von Heidi und Ethan holen.
Marlene hatte Glück im Unglück und musste nicht ins Krankenhaus, weil der Sanitäter nach seiner Untersuchung nur einen leichten psychischen Schock diagnostizierte. Ethan schrieb gewissenhaft die
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