Blinde Zeugen: Thriller
von vorn anfangen. Wo immer Sie wollen.«
Zum ersten Mal hob sie den Blick. »Also, wir sind immer nach Lossiemouth gefahren, als ich und Kylie klein waren.« Dann richteten ihre Augen sich wieder auf den Fußboden, und ihre Fingernägel kratzten so lange an einer schorfigen Stelle an ihrem Handgelenk herum, bis es blutete. »Da waren wir glücklich …«
»Also schön, Lossiemouth. Sie müssen nichts weiter tun, als eine Aussage zu machen und diesmal auch dabei zu bleiben . Wir könnten Ihnen sogar ein Rehabilitationsprogramm vermitteln, wenn Sie wollen?«
Tracey schniefte und wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab. »Wir sind ja praktisch schon auf Entzug. Die haben uns den Hahn abgedreht. Niemand darf uns mehr Stoff verkaufen … wegen dem, was wir über Creepy gesagt haben.«
Sie bückte sich, kramte in der kaputten Anrichte herum und zog eine Literflasche billigen Wodka hervor. »Da waren diese zwei Typen, die sind mit Mrs. McLeod hier aufgekreuzt. ›Das kommt davon, wenn man Lügen über meine Familie verbreitet‹, tönt die Alte. Und dann haben die Typen angefangen, alles kaputtzuschlagen, okay? Und dann fragt die alte Schachtel, ob wir unsere Lektion schon gelernt hätten. Und Kylie sagt: ›Ja‹, ne?«
Sie knackte den Schraubverschluss der Wodkaflasche und nahm einen Schluck. »Und Mrs. McLeod sagt: ›Nein, das habt ihr nicht. Aber ich werd’s euch schon noch beibringen.‹ Und der eine Schlägertyp packt Kylie und schlägt auf sie ein.« Traceys Stimme wurde immer leiser. Sie setzte die Flasche noch einmal an. »Dabei war sie doch immer noch ganz grün und blau von damals, wo Harry sie geschlagen hat, wissen Sie – wegen diesem Witz mit dem Rollstuhl? Also geh ich dazwischen, und sie lässt’s stattdessen an mir aus …« Sie starrte die Flasche in ihren Händen an. »Hat bei unserem Stiefvater auch immer funktioniert.«
»Und Mrs. McLeod war die ganze Zeit dabei?«
»Sie ist’s doch gewesen, die gesagt hat, dass sie noch mal kommen würden, wenn wir der Polizei nicht sagen, dass das mit Harry jemand anders war.« Tracey kippte sich noch einen Schluck hinter die Binde. »Aber so war’s nicht, okay? Creepy war’s – ich hab’s doch selbst gesehen .«
Logan ließ sein Notizbuch in die Tasche gleiten. »Dann müssen Sie nichts weiter tun, als mit mir aufs Präsidium zu kommen. Wir tippen alles ordentlich in den Computer und drucken’s aus, dann können Sie es unterschreiben, und ich kläre alles mit dem Zeugenschutzprogramm. Okay?«
Die Wohnzimmertür schwang knarrend auf, und herein kam DS Pirie mit drei dampfenden Bechern. »Die Milch war verdorben, deshalb gibt’s bloß irgend so einen Sojascheiß.« Er knallte die Becher so heftig aufs Fensterbrett, dass der dünne Kaffee überschwappte und sich über den verstaubten Lack ergoss.
Logan nahm sich einen Becher. Am Rand waren Lippenstiftflecken, und innen zeigte ein dünner brauner Strich einen früheren Hochwasserstand an. Er stellte den Becher wieder hin. »Nichts für ungut, aber ich glaube, ich warte lieber, bis wir wieder im Präsidium sind. Was ist mit Ihnen, Tracey? Möchten Sie Kylie holen, dann können wir gleich losfahren?«
Sie sah zu Pirie auf und senkte den Blick gleich wieder auf den Boden. »Ich will nicht mehr hierher zurück, okay? Hinterher, meine ich.«
»Packen Sie alles ein, was Sie brauchen. Wir haben keine Eile.«
Pirie setzte sich auf die Kante des kaputten Sofas, die Hände in den Hosentaschen, das Gesicht zum Fenster gedreht. Draußen rannten ein paar kleine Kinder fröhlich kreischend auf der Grünfläche herum. »So«, sagte Pirie, »du hast sie also zum Reden gebracht.«
Logan zuckte mit den Achseln. »Tja, nun …«
»Dabei baust du doch angeblich immer nur Scheiße.«
»Danke.«
Pirie räusperte sich. Schwieg einen Moment. »Ich …« Wieder eine Pause. »Finnie wird einer abgehen, wenn er das erfährt.«
Vom Flur her kamen gedämpfte Stimmen – Kylie und ihre Schwester, die aus den Trümmern ihrer Wohnung zu bergen versuchten, was noch irgendwie zu gebrauchen war.
Logan beobachtete, wie einer der Jungen draußen auf dem Rasen sich im Laufen zu seinem Kameraden umdrehte, der ihn jagte, und mit vollem Karacho gegen eine eiserne Wäschestange knallte. Klongggggggg … Er fiel der Länge nach auf den Rücken, und dann heulte er los. »Wieso hat Finnie sich so auf die McLeods eingeschossen?«
»Du meinst, abgesehen von den bewaffneten Raubüberfällen, den Strafaktionen mit Schlägertrupps, den
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