Blinde Zeugen: Thriller
voller Schuhe, Stiefel, Jacken und Hüte. Nur Logan sah sie nicht an. »Sie müssen Colin laufen lassen.«
»Nein, das muss ich nicht.« Er sprang von der Mauer, auf der er gesessen hatte, und ging zum Eingang zurück. »Wiedersehen, Hilary.«
»Warten Sie!« Sie packte ihn am Ärmel. »Er war es nicht – er war nicht einmal dort. Er war … Er war bei mir.«
»Es ist eine Straftat, jemandem ein falsches Alibi zu verschaffen, das wissen Sie doch hoffentlich? Das nennt sich Strafvereitelung – denken Sie nur daran, was mit Ihrer Schwiegermutter passiert ist.«
»Ich will gar nichts vereiteln, wir waren zusammen , okay?« Sie lief rot an, vom Ausschnitt bis hinauf zum Haaransatz. »Simon lag noch im Krankenhaus, und wir … Es war …« Sie verstummte.
»Ihr Mann liegt mit ausgestochenen Augen im Krankenhaus, und Sie treiben es zu Hause mit seinem Bruder?«
Sie ließ Logans Ärmel los und wandte sich ab. »So war das nicht.«
»Wie lange geht das schon?«
»Sie dürfen es keinem Menschen erzählen. Er bringt mich um, wenn er dahinterkommt. Und das meine ich ganz wörtlich. Er wird mich umbringen .«
Logan klatschte ironisch Beifall, und sie starrte ihn an.
»Das muss ich Ihnen lassen, Hilary – das war eine fantastische Vorstellung. ›Er wird mich umbringen !‹ Der Klassiker. Das nächste Mal sollten Sie aber versuchen, noch ein paar Tränen abzudrücken – wirkt realistischer.«
»Es ist wahr !«
»Nein, ist es nicht. Sie lügen, um Colin freizubekommen. Ihr McLeods seid doch alle gleich. Wenn er wirklich die ganze Nacht bei Ihnen war und das alte Rein-Raus-Spielchen gespielt hat, wieso hatte er dann einen Hammer in seiner Garage, an dem Harry Jordans Blut klebte?«
»Weil … Das war von damals, als …« Sie starrte wieder zu dem Laden gegenüber. »Als er Harry die Knie zertrümmert hat.«
»Sie sagen also, Colin hat ihn zum Krüppel geschlagen, aber für den Nachschlag ist er nicht verantwortlich?«
Hilary lachte, kurz und bitter. »Wenn es so wäre, dann läge Harry jetzt nicht im Koma, sondern im Sarg.«
Logan rieb sich das stopplige Kinn. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass Sie eine Affäre mit Creepy Colin McLeod haben sollen.«
»Sechs Jahre, mit Unterbrechungen. Es war … Es ist nicht gerade leicht mit Simon als Partner. Die Leute denken immer, Gangster wären so brutal und männlich, aber er …« Ihre geröteten Augen schimmerten feucht. »Zum Glück gibt’s ja Viagra, nicht?«
»Nun ja –«
»Er wacht jetzt immer mitten in der Nacht schreiend auf. Das geht so, seit …«
Logan legte ihr die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie, lassen Sie uns reingehen. Sie können Ihre Aussage zu Protokoll geben und –«
»Nein! Kein Protokoll!« Sie umklammerte ihren räudigen Köter noch fester, und die Kreatur kläffte Logan an. »Ich hab’s Ihnen doch gesagt: Er wird mich umbringen!«
»Was hat es für einen Sinn, Colin ein Alibi geben zu wollen, wenn Sie sich weigern, es richtig zu tun?«
»Können Sie nicht … Sie wissen schon – ein bisschen nachforschen oder so? Wenn Colin es nicht war, muss es doch jemand anders gewesen sein. Den sollten Sie wegen versuchten Mordes verknacken, nicht ihn!«
56
Im CID-Büro war niemand außer Logan und einer einsamen Schmeißfliege. Sie brummte und dotzte gegen die Fensterscheibe, und schließlich verschwand sie hinter der Jalousie, deren Plastiklamellen das Geräusch noch verstärkten. Laut dem Dienstplan an der Weißwandtafel waren sämtliche Kollegen irgendwo im Außeneinsatz: Einbrüche, Überfälle, Brandstiftungen, Drogengeschäfte, Körperverletzung, Prostitution. Das ganze bunte Spektrum des Großstadtlebens.
Logan machte sich eine Tasse Tee und sank auf seinen Schreibtischstuhl. Der Papierkram hatte sich angestaut, während er krankgeschrieben war – stapelweise Formulare, Berichte, Tabellen und Statistiken, die alle dringend seiner Aufmerksamkeit bedurften, damit irgendein Idiot bei der Regierung so tun konnte, als gingen sie hart gegen das Verbrechen vor …
Aber eigentlich versteckte Logan sich nur vor DI Steel.
Und überhaupt, für wie blöd hielt diese Hilary Brander ihn eigentlich? Sie und eine Affäre mit Creepy Colin McLeod? Das konnte sie ihrer Großmutter erzählen. Es war doch allgemein bekannt, dass der Mann auf Junkie-Prostituierte stand. Sie war nicht einmal eine gute Lügnerin.
Logan trank einen Schluck Tee, warf einen Blick auf den Stapel Papierkram, zog die Nase hoch und machte sich an die
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