Blinde Zeugen: Thriller
über mein Leben!«
Er krümmte sich so vor Lachen, dass er die Worte nur mit Mühe über die Lippen brachte. »Man hat mich in die Luft gejagt und auf mich geschossen; ich kann nicht schlafen; ich habe Alpträume, selbst wenn ich wach bin; ich kann mich nur noch volllaufen lassen, bis ich die ganze … Scheiße … vergesse und nichts mehr spüre; ich habe wieder mit dem Rauchen angefangen; ich bin schuld, dass Rory geblendet wurde, und Wiktorja ist als Nächste dran; wahrscheinlich habe ich in Polen einen Mann erschossen; ich ruiniere alles, was ich anfasse; und gleich werde ich auch noch gefeuert.« Er blickte zu ihr auf. »Und da meinst du, mein Leben wäre nicht im Arsch?«
Logan stand vor dem Automaten im dritten Stock und versuchte, sich zwischen Kaffee, Tee und Hühnersuppe mit Nudeln zu entscheiden. Dabei war es eigentlich egal, weil sowieso alles gleich schmeckte. Er drückte die Tasten, und der in Wasser aufgelöste Schmodder rann gurgelnd in einen dünnen Plastikbecher.
Er fasste ihn am Rand, um sich nicht die Finger zu verbrennen, und schleppte sich hinauf ins CID-Büro. Rennie war dort und langweilte gerade PC Karim mit seiner »Wie-ich-den-Sperminator-zur-Strecke-brachte«-Story. »… und ich stelle in mühevoller Kleinarbeit zirka eine Million Stunden Überwachungsaufnahmen zusammen und versuche, die Spur von dem Kerl vom Einkaufszentrum über die Union Street zu verfolgen, und weiter …«
Logans Schreibtisch war mit einem Wust von Formularen und Aktenmappen übersät. Schon wieder. Die Hälfte davon waren noch nicht einmal seine. Er stellte seinen Plastikkaffee auf einem Memo von DI Beattie ab und raffte einen Armvoll Zeugenaussagen zusammen, um sie auf dem Nachbarschreibtisch abzuladen.
Dann setzte er sich auf seinen klapprigen Drehstuhl und starrte den leeren Computerbildschirm an. Überlegte, ob er den Rechner hochfahren und seine Kündigung schreiben sollte.
Sehr geehrte Arschlöcher, ich kündige. Ihr könnt mich alle mal. Detective Sergeant Logan McRae.
Karim sah dauernd auf seine Uhr und näherte sich mit Trippelschritten der Tür, aber Rennie schwadronierte ungerührt weiter und weiter und weiter. »Hat in ’nem Schuhgeschäft gearbeitet …« Bla, bla. »Hat sofort alles gestanden …« Bla, bla. »Seine Frau hat gewartet, bis wir ihm die Handschellen angelegt hatten, und ihm dann das Knie in die Eier gerammt …«
»Ja, echt super«, sagte Karim, als er endlich einmal zu Wort kam. »Jetzt muss ich aber los – die Obduktion fängt in zehn Minuten an.«
»Ui …« Rennie schnappte sich sein Notizbuch. »Ist jemand gestorben?«
»Dirty Bob. Sie haben ihn gestern auf dem St.-Nicholas-Friedhof gefunden, hinten beim Einkaufszentrum.« Karim seufzte. »Der Tod von seinem Kumpel Richard hatte ihm schwer zugesetzt … Doc Fraser meint, das ist bei denen manchmal wie bei Ehepaaren: Wenn einer stirbt, stirbt der andere gleich hinterher. Irgendwie ’ne rührende Vorstellung. Der arme Kerl hat sich wahrscheinlich totgesoffen – hat schwer nach Spiritus gestunken.«
Logans Magen drehte sich um. »Spiritus?«
»Sein Getränk der Wahl.«
Und Logan hatte ihm zwanzig Pfund gegeben, damit er sich Schnaps kaufen konnte. Ganz toll – noch ein Grund mehr, sich schuldig zu fühlen. Er hörte schon nicht mehr hin, als Karim sich verabschiedete und hinausging.
Rennie wartete, bis die Tür ins Schloss fiel, eher er in seinen Schreibtischschubladen zu kramen begann. Dann rollte er auf seinem Drehstuhl quer durchs CID-Büro, bis er neben Logan saß. »Ich hab was für dich.« Er reichte ihm eine Einkaufstüte.
In der Tüte war etwas Schweres, in einer quaderförmigen Schachtel, rund dreißig Zentimeter lang bei acht Zentimetern Kantenlänge, das Ganze in braunes Papier eingeschlagen. Jeder Schotte über zwölf hätte sofort erkannt, was es war.
Der Constable nickte. »Ist gestern für dich gekommen – wollte es nicht auf deinem Schreibtisch liegen lassen; weißt ja, was für Langfinger sich hier rumtreiben.«
Logan riss das Papier herunter, öffnete die Lasche des Pappkartons und zog die Flasche Whisky heraus. Knockdhu, dreißig Jahre alt. An der Flasche war mit Tesa ein handgeschriebener Zettel befestigt:
Sehr geehrter DS McRae,
vielen herzlichen Dank für die Klärung des kleinen Missverständnisses mit Colin McLeod und Harry Jordan. Wir sind Ihnen alle sehr verbunden.
Mit freundlichen Grüßen
H.M.
H.M. Hamish Mowat. Hervorragend. Das war genau das, was Logan brauchte. Ein Geschenk
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