Blinder Rausch - Thriller
sein Handy. »Gleich acht. Wann hast du das Zeug reingelegt?« »Gestern Abend so gegen zehn.« »Das reicht noch dicke. Ich fahr mit dem Fahrrad.«
»Ach, Nik, noch was …« Er wendet sich zur Tür und fährt erwartungsvoll herum, als er ihre Stimme hört. »Ja?«
»Kannst du die Plastiktüte aus dem Bad unten in den Müll werfen?« Seine Schultern sinken. Er nickt und wendet sich wieder zum Gehen. In der Tür dreht er sich plötzlich um. »Eine einzige Frage hätte ich noch.« »Was denn?«, kommt es ein wenig ungeduldig. Er musterte die Silhouette des Mädchens vor dem Fenster. Ihre schmale Gestalt. Wie sie sich den Bademantel mit beiden Händen eng um den Leib zieht, als wolle sie sich darin einspinnen wie in einen Kokon. Die Morgensonne scheint durch die Scheiben und entzündet einen feurigen Kranz von plusterigem Goldhaar um ihr zartes Gesicht. Er schluckt. »Was denn?« wiederholt sie. Er räuspert sich. »Brötchen oder Croissants? Ich könnte was zum Frühstück mitbringen.« Sie lächelt. »Egal, bring irgendwas mit!« Er nickt und wendet sich abermals zum Gehen. Doch jetzt hält sie ihn auf. »Nik?« »Ja?« »Du wolltest doch eigentlich was anderes fragen oder?« Er nickt und tritt vorsichtig auf sie zu, bis er dicht vor ihr steht und in ihrem Gesicht ein zartes Lächeln entdeckt. Die Ungehaltenheit von eben ist verflogen. »Ich wollte nur wissen, ob …, also ob du jetzt mit ihm zusammen bist.« Das Lächeln in ihrem Gesicht erstarrt. Ihre Augen werden glasig und der Mund verzieht sich weinerlich. »Ich hab keine Ahnung«, flüstert sie. Er versucht verzweifelt, in ihrer Miene zu lesen. Leonie schiebt noch eine Erklärung nach: »Eigentlich will ich von gestern Abend nichts mehr wissen. Alles einfach vergessen, verstehst du?« Er nickt ein wenig. »Roger«, sagt er leise und geht.
Im Hinterhof angekommen, müht er sich, die Tüte in einer der völlig überfüllten Mülltonnen unterzubringen und presst sie mit Kräften tief hinein, damit sich der Deckel noch schließt. Er kennt das Gezeter, das die Hofmeister aus dem Parterre loslässt, wenn die Tonnen nicht ordnungsgemäß geschlossen sind. Aufgabe ihres Mannes ist es, montags die Mülltonnen durch den engen Hausflur zu bugsieren und neben dem Vordereingang auf dem Gehweg abzustellen. Niklas zuckt zusammen. Die Tüte ist bei seinem Manöver zerrissen. Ein silbern glänzender spitzer Absatz schrammt seinen Unterarm. Niklas schüttelt den Kopf. Leonie hat sogar diese funkelnagelneuen Schuhe in den Müll gegeben. Verwundert macht er sich davon.
Leonie hat noch eine Weile auf die geschlossene Zimmertür gestarrt, als sei diese eine Projektionsfläche für einen Film, der gerade vor ihr abläuft. Dann spürt sie, wie sich allmählich eine bleierne Müdigkeit in ihr ausbreitet. Sie sinkt in Niklas Bett und zieht sich die Decke weit über den Kopf.
Nach einiger Zeit spürt sie eine sanfte Berührung an den Schultern. Eine Hand streicht über die Decke. Eine leise Stimme raunt: »Na, mein Mausebär, schläfst du noch in deiner Höhle?«
Leonie gefällt diese Art des Aufwachens. Sie möchte, dass die Hand weiter über die Decke streicht. Sie möchte diese netten Worte weiter hören. Daher regt sie sich zunächst nicht. Doch dann fällt ihr ein, wo sie ist. Sie schlägt blitzschnell die Decke zurück, setzt sich auf und starrt in Mariannes völlig verdattertes Gesicht. »Leo?«, ruft diese erstaunt. Über Leonies Gesicht fliegt ein gequältes Lächeln. Ihr ist mit einem Schlag klar, was Marianne jetzt denkt und sie überlegt, ob es eine Chance gibt, das ohne Schwierigkeiten richtigzustellen oder ob diese Wahrheit besser ist als die andere, die sie ihr dann präsentieren müsste.
Leonie registriert beruhigt, dass in Mariannes Gesicht ein verständnisvolles, beinahe spitzbübisches Lächeln steht. Ihre Blicke gleiten dabei über die Kissenberge. »Und Nik? Wo hat der sich versteckt?« Leonie räuspert sich. »Ja, ehem, der ist weg … um … Brötchen zu holen!«, fällt ihr am Schluss dann schnell noch ein. »Na, das ist aber nett«, lobt Marianne und schaut sich im Zimmer um. »Und endlich mal aufgeräumt hat er. Da sieht man mal, was die Macht der Liebe so alles bewirken kann.« Leonie lächelt gequält und nickt ein bisschen, um Marianne zu bestätigen. Die wirkt merkwürdig erleichtert und gut gelaunt und plaudert weiter: »Aber genau das hat mir die Dame von der Erziehungsberatung gesagt. Ich soll das alles nicht so schwernehmen. Er sei gerade auf der
Weitere Kostenlose Bücher