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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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er Lady Mary, Goodenough und Lapline überzeugende Ergebnisse liefern konnte. Je intensiver er über das Problem nachdachte, desto mehr neue Haken entdeckte er. Dem Dekan und den anderen Fellows hatte er im Gemeinschaftsraum eröffnet, warum er Sir-Godber- Evans-Gedächtnis-Fellow geworden war, und nun würden sie auf der Hut sein. Purefoy verwünschte sich und seine alkoholbedingte Indiskretion. Sie hatte zur Folge, daß man auf jede seiner Fragen mit Schweigen oder vorsätzlich irreführenden Antworten reagieren würde. Kurzum, er hatte erfahren, was er hatte erfahren wollen, konnte aber nichts damit anfangen. Und es gab noch einen Grund, warum er nicht wußte, was nun zu tun sei, und dieser Grund belastete ihn sehr. Skullion war alt und behindert, eine tragische Gestalt in seinem Rollstuhl und mit der uralten Melone auf dem Kopf, und ihn zu überführen würde niemandem dienen. Lediglich Lady Marys Rachegefühle würden befriedigt, und Purefoy empfand keinerlei Sympathie für sie. Der Mörder würde nie wieder töten, und selbst wenn man ihm seine Tat beweisen könnte, was würde dann ein Gefängnisaufenthalt nützen? Nicht daß, Purefoys wohlinformierter Meinung nach, Gefängnisse irgend etwas nützten. Sie waren Symptome des Versagens einer Gesellschaft und machten krank, was sie eigentlich heilen sollten. Da ihm so viele widersprüchliche Gedanken durch den Kopf gingen, suchte Purefoy Osbert Trost, indem er sich auf seine Liebe zu Mrs. Ndhlovo besann. Ihr würde er alles erklären, und als Frau, die so viel vom Leben gesehen hatte, würde sie mit Sicherheit genau wissen, was zu tun war.
    Nachdem er die Durchsicht der Arbeiten beendet und mit allen vierzehn Studenten vereinbart hatte, sie am nächsten Mittag zum Essen in der Mensa zu treffen, um Probleme zu besprechen, die sie mit ihrer Literaturliste haben mochten, machte er sich schon viel besser gelaunt auf den Weg zu Mrs. Ndhlovo. Unterwegs kaufte er ein paar rote Rosen. Mrs. Ndhlovos Wohnung lag im ersten Stock eines großen, kurz nach der Jahrhundertwende erbauten Hauses. Purefoy ging die Treppe hinauf und wollte gerade anklopfen, als die Tür von einer Frau geöffnet wurde, die Mrs. Ndhlovo zwar ähnlich sah, aber nicht sie war, und die sein Anblick seltsamerweise nicht zu überraschen schien. Sie hatte dunkle Haare, trug eine Brille und einen Rock mit einem hochgeschlossenen Pullover darüber. »O mein Gott, Sie sind es«, sagte sie. »Das hätte ich mir denken können. Sie geben wohl nie auf?«
    Irgend etwas mußte schrecklich schiefgelaufen sein, soviel stand fest, obwohl er beim besten Willen nicht drauf kam, was das sein könnte, außer daß er sich vielleicht im Haus geirrt hatte und diese Frau ihn für einen Mieteintreiber oder für jemanden hielt, der ihm ähnlich sah und zudringlich geworden war oder sie sogar sexuell belästigt hatte. Purefoy stammelte eine Entschuldigung: »Tut mir schrecklich leid«, sagte er. »Ich suche eine Mrs. Ndhlovo.«
    »Mrs. Ndhlovo wohnt hier nicht mehr«, sagte die Frau. »Verstehe«, sagte Purefoy. »Haben Sie zufällig ihre neue Adresse?«
    »Sie wollen Mrs. Ndhlovos neue Adresse haben? Die möchten Sie von mir haben?« sagte die Frau, und die Wiederholung fand Purefoy ziemlich überflüssig, die Betonung geradezu beängstigend. Außerdem hatte er den Eindruck, daß ihre Stimme jetzt anders klang.
    »Ja, die möchte ich von Ihnen haben«, bestätigte er und starrte die blauen Augen hinter den dicken Brillengläsern an. »Ich bin ein alter Freund von ihr aus der Universität.« »Und«, sagte die Frau und musterte ihn ziemlich unverschämt von oben bis unten. »Wie alt?«
    »Wie alt?« wiederholte Purefoy, dem immer absonderlicher zumute wurde. Mit dem »Und« hatte sich der Akzent der Frau verändert. Er klang jetzt mitteleuropäisch. »Ach so, Sie meinen, wie lange ich sie kenne? Also, im Grunde kenne ich sie ...« »Mein ich nich«, unterbrach ihn die Frau. »Ich will Ihr Alter, jetzt.«
    Purefoy glotzte sie an. Irgend etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Zuerst hatte sie ein relativ normales Mittelklasseenglisch gesprochen, doch nun klang ihr Akzent wie in Filmen, in denen KGB-Verhörexperten vorkamen. Er sah an ihr vorbei in das Zimmer. Mrs. Ndhlovos Kleidungsstücke lagen auf dem Sofa verstreut, und ein geöffneter Koffer stand auf dem Fußboden. »Nun hören Sie mal zu ...«, setzte er an, doch die Frau unterbrach ihn.
    »Mrs. Ndhlovo ist verschwunden«, sagte sie. »Wissen Sie, wo sie hin

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