Bloody Mary.
schreiben, was er von ihr hielt. Das war sie nicht wert; womöglich fand sie noch irgendeine perverse Befriedigung in dem Wissen, wie tief sie ihn gekränkt hatte, und außerdem hatte er Wichtigeres zu tun. Zunächst einmal wollte er in Porterhouse einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dieses College war schlimmer als ein Anachronismus und mehr als ein Archaismus, es war dekadent, und es tarnte seine abgrundtiefe Banalität und das Fehlen jeder akademischen Bedeutung mit krankhafter Arroganz, die vor der Welt draußen unter anderem verbergen sollte, daß es moralisch wie finanziell abgedankt hatte. Purefoy hatte eine Ahnung, was andere Colleges in Cambridge vor der Welt verbargen, doch sie brachten immerhin gebildete Studenten und Gelehrte von hohem Rang hervor. Man behauptete sogar – allerdings mochte Purefoy dieser Statistik nicht recht glauben –, ein einziges College, nämlich Trinity, habe mehr Nobelpreisträger hervorgebracht als ganz Frankreich. Kurzum, andere Colleges in Cambridge konnten es sich leisten, eine gewisse Überheblichkeit an den Tag zu legen. Porterhouse stand das nicht zu. Porterhouse war lächerlich. Und schlimmer noch, sein Rektor war ein unwissendes Monster, das zugegeben hatte, seinen Vorgänger ermordet zu haben, ohne dabei auch nur ein Minimum an Reue oder Bedauern zu zeigen. Nun, das alles sollte sich ändern. Von Mrs. Ndhlovos Gelächter und der daraus resultierenden Erkenntnis seiner eigenen unerfreulichen Situation wütend gemacht, hatte Purefoy Osbert jede Furcht vor den alten Hampelmännern verloren, die sich leitende Fellows nannten. Er beabsichtigte, seinen Vertrag als Sir-Godber-Evans- Gedächtnis-Fellow einzuhalten und ihnen einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Mit diesem alles dominierenden Gedanken ging er an Sir Cathcart D’Eath vorbei, ohne ihn zu bemerken, und begab sich auf sein Zimmer. Es war zu spät, um noch etwas zu unternehmen, doch am Morgen würde er den Dekan zur Rede stellen und ihm sagen, was er vorhatte. Er beabsichtigte anzukündigen, daß er mit seinen Informationen zur Polizei gehen wolle, und dann die Reaktion des Dekans abzuwarten. Auf diese Reaktion kam es ihm an. Purefoy Osbert hatte am eigenen Leibe erfahren, wie wirksam Provokationen sein konnten. Er würde den Dekan zwingen zuzugeben, daß Skullions Geständnis der Wahrheit entsprach. Oder es abzustreiten. Welche der beiden Möglichkeiten, war ziemlich egal. Auch seine eigene Position war ihm dabei unwichtig. Sein ganzes Leben lang hatte er daran festgehalten, ausschließlich Gewißheiten zu akzeptieren. Doch vorhin, während dieser einen halben Stunde in Mrs. Ndhlovos Wohnung, hatte er erfahren, daß einen nichts so sehr aus der Fassung brachte wie ein solides Vorwissen des anderen, gepaart mit grotesk unlogischen Anschuldigungen. Diese Technik wollte er am Morgen beim Dekan ausprobieren. Von den Ereignissen des Tages erschöpft, schlief Purefoy Osbert tief und fest.
Der Praelector hatte wie üblich einen weniger tiefen Schlaf. Häufig wachte er eine oder zwei Stunden nachdem er zu Bett gegangen war wieder auf und lag dann wach, um über die Ereignisse des vergangenen Tages nachzugrübeln oder einfach ganz zufrieden im Dunkeln dazuliegen und seine Gedanken wandern zu lassen. Er genoß diese Nächte. Sie gaben ihm Gelegenheit, ungestört über allerhand nachzudenken ohne das Gefühl, irgend etwas Nützliches tun zu müssen. Doch in dieser Nacht kreisten seine Gedanken ausschließlich um die Frage, wer neuer Rektor werden sollte. Anders als der Dekan und der Obertutor hatte er keine Illusionen, was Porterhouse betraf. Der Zustand der Collegefinanzen hatte ihn, wie er dem Dekan auf ihrem Spaziergang gestanden hatte, erschüttert. Und um das Maß vollzumachen, hatte er dann von Skullions Verbrechen, seiner bevorstehenden Verlegung nach Porterhouse Park und der Notwendigkeit erfahren, einen Nachfolger zu ernennen. Außerdem hatten die zahlreichen Mißverständnisse beim Entenessen und später im Zimmer des Dekans bewiesen, wie unfähig die angebliche Collegeleitung war. Der Obertutor hatte sich kindisch emotional verhalten, der Dekan war demoralisiert gewesen, und Sir Cathcart D’Eaths Stimmungs- und Identitätsschwankungen hatten vermuten lassen, daß sich erste Anzeichen von Altersabbau bei ihm bemerkbar machten. Kein Zweifel, es mußten unbedingt radikale Veränderungen vorgenommen werden. Als sich im Morgengrauen der Himmel aufhellte, stieß der Praelector zum Kern des Problems vor.
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