Blüte der Tage: Roman (German Edition)
beide Hände aus, um die Cremedosen aufzufangen, bevor sie auf dem Boden landeten.
Und jede Dose war wie ein Eiswürfel in ihrer Hand.
Sie hatte gesehen, wie sie sich bewegten. Großer Gott! Hastig stellte sie die Dosen zurück und wirbelte instinktiv zur Verbindungstür herum, um ihre Söhne gegen die Kälte abzuschirmen. Gegen diesen Zorn, den sie wie Peitschenhiebe in der Luft spürte.
Durch die offene Tür sah sie Logan, wie er auf einem Stuhl zwischen beiden Betten saß und mit seiner tiefen, warmen Stimme die albernen Abenteuer von Kapitän Unterhose vorlas, während ihre Söhne warm zugedeckt dalagen und langsam müde wurden.
Sie blieb in der Tür stehen, ein Schutzschild gegen die fauchende Kälte, und wartete, bis Logan fertig gelesen hatte und zu ihr aufblickte.
»Danke.« Sie war verblüfft, wie ruhig ihre Stimme klang. »Jungs, sagt Gute Nacht zu Mr. Kitridge.«
Zögernd betrat sie das Kinderzimmer. Als sie sicher war, dass ihr die Kälte nicht folgte, nahm sie Logan das Buch aus der Hand und zwang sich zu einem Lächeln. »Geh schon mal runter. Ich komme gleich nach.«
»Okay. Schlaft gut, Männer!«
Er fühlte sich zufrieden und entspannt. Wer hätte gedacht, dass es so viel Spaß machte, Gutenachtgeschichten vorzulesen? Kapitän Unterhose! Wirklich zum Kringeln.
Er würde das gern irgendwann wiederholen, aber dann vielleicht mit einem anderen Buch.
Herrlich, wie sich Stella mit ihrem Sohn gebalgt hatte. Erhabene Herrscherin! Er grinste amüsiert.
Doch dann stockte ihm der Atem. Gleich einer Flutwelle nahte sich ihm von hinten eine Eiseskälte, überschwemmte ihn und schob ihn machtvoll nach vorne.
Er wurde bis zum Treppenrand geschleudert. Voller Panik merkte er, dass er gleich die Treppe hinunterfallen würde. Mit rudernden Bewegungen griff er nach dem Geländer, erwischte es mit einer Hand, zog seinen Körper nach und hielt sich dann auch mit der anderen Hand am Geländer fest. Vor seinen Augen tanzten schwarze Pünktchen. Einen Moment fürchtete er, er würde durch diese unglaubliche Stoßkraft einfach über das Geländer stürzen.
Aus den Augenwinkeln erspähte er einen Schatten, nur undeutlich, aber eindeutig weiblich. Ein roher, bitterer Zorn ging davon aus.
Und dann war alles vorbei.
Er hörte seinen keuchenden Atem, spürte den klammen Angstschweiß auf seinem Rücken. Obwohl seine
Beine einzuknicken drohten, blieb er, um Fassung ringend, stehen, bis Stella aus dem Kinderzimmer kam.
Sobald sie ihn sah, erlosch ihr kleines Lächeln. »Was ist passiert?« Rasch ging sie zu ihm. »Was hast du?«
»Hat sie – euer Hausgeist – jemals die Jungen bedroht?«
»Nein. Ich habe eher den Eindruck, sie will sie beschützen.«
»Gut. Gehen wir nach unten.« Er nahm sie fest an der Hand, um sie, falls nötig, sofort in Sicherheit zu bringen.
»Deine Hand ist eiskalt«, bemerkte Stella.
»Ja. Du musst mir alles über euren Geist erzählen.«
»Jetzt bist erst mal du mit Erzählen dran.«
»Ich weiß.«
Als sie dann alle mit ihren Akten, Büchern und Aufzeichnungen um den Bibliothekstisch versammelt waren, erzählte Logan, was er erlebt hatte. Er trank dazu Kaffee mit einem ordentlichen Schuss Brandy, den ihm Roz auf den Schreck hin kredenzt hatte.
Nach seinem Bericht herrschte einige Sekunden entsetztes Schweigen, bis Roz schließlich sagte: »In all den Jahren, in denen sie ein Teil dieses Haus war, ist sie nie als Bedrohung empfunden worden. Die Leute haben sich vielleicht gefürchtet oder gegruselt, aber bisher ist noch nie jemand physisch von ihr angegriffen worden.«
»Können Geister das überhaupt?«, fragte David verwundert.
»Wenn Sie mit mir auf dem Treppenabsatz gestanden hätten, würden Sie diese Frage nicht stellen«, erwiderte Logan.
»Poltergeister können sogar Gegenstände durch die
Luft fliegen lassen«, bemerkte Hayley. »Aber sie tauchen normalerweise in der Nähe von Heranwachsenden auf. Irgendwas an der Pubertät scheint sie anzulocken. Wie auch immer, darum geht es hier nicht. Hey, vielleicht hat irgendein Vorfahre von Logan ihr etwas angetan, und jetzt will sie es Logan heimzahlen.«
»Ich bin schon unzählige Male in diesem Haus gewesen. Bisher hat sie mich nie angegriffen.«
»Die Kinder«, sagte Stella leise, den Blick auf ihre Aufzeichnungen gerichtet. »Alles konzentriert sich auf die Kinder. Sie fühlt sich zu Kindern hingezogen, vor allem zu kleinen Jungs. Sie verhält sich ihnen gegenüber sehr fürsorglich. Man könnte fast sagen, dass
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