Blüte der Tage: Roman (German Edition)
ein.
In Bezug auf die Kleiderordnung für das Bewerbungsgespräch schienen sie eine sehr unterschiedliche Auffassung zu haben, wurde Stella bewusst.
Rosalind trug einen weiten olivfarbenen Pullover und eine unförmige schlammfarbene, ausgefranste Arbeitshose. Statt Schuhen hatte sie dicke braune Wollsocken an den Füßen. Was wohl der Grund war, dachte Stella, dass sie ihr Nahen nicht gehört hatte.
Sie war groß und schlank und hatte kurzes schwarzes Haar.
Als Vorbereitung auf dieses Gespräch hatte Stella etwas Recherche im Internet betrieben, um sich ein Bild von ihrer potenziellen Arbeitgeberin zu machen – nicht nur in Bezug auf deren Lebenslauf, sondern auch auf deren Aussehen.
In den Archiven von Zeitungen und Zeitschriften waren Unmengen von Artikeln gewesen. Stella hatte über Rosalinds Kindheit und Jugend gelesen. Sie hatte die Fotos der achtzehnjährigen atemberaubend schönen Braut bewundert und bei den Bildern der bleichen, tapfer dreinblickenden Witwe tiefes Mitgefühl empfunden.
Daneben gab es noch jede Menge anderer Artikel und Fotos. Berichte in den Klatschblättern, die sich vor allem mit der Frage befassten, wann und ob die Witwe wieder heiraten würde. Meldungen über den Aufbau der Gärtnerei, über den Park, ihr Liebesleben; über ihre zweite Ehe und die bald darauf folgende Scheidung.
Stella hatte das Bild einer willensstarken, klugen Frau vor Augen gehabt. Ihr blendendes Aussehen sah sie als das Ergebnis von Fotokunst, Beleuchtung und Make-up an.
Sie hatte sich geirrt.
Mit ihren sechsundvierzig Jahren war Rosalind Harper eine voll erblühte Rose. Nicht die Treibhaussorte, dachte Stella, sondern eine jener Wildrosen, die Wind und Wetter ausgesetzt waren und jedes Jahr kräftiger und schöner blühten.
Rosalind hatte ein schmales, markantes Gesicht und tief liegende längliche Augen in der Farbe von edlem Kognak. Ihr Mund mit den vollen, scharf gemeißelten Lippen war ungeschminkt, wie auch ihr Gesicht ohne jedes Make-up war.
Um die dunklen Augen lagen einige feine Falten, die das Leben als Tribut eingefordert hatte, doch sie taten der Schönheit keinen Abbruch.
So würde ich später auch gern aussehen, dachte Stella. Nur etwas besser gekleidet.
»Ich habe Sie warten lassen, nicht wahr?«
Klare Fragen, klare Antworten, erinnerte sich Stella. »Ein wenig. Aber es gibt Schlimmeres, als in diesem Zimmer zu sitzen und aus Staffordshire-Porzellan Kaffee zu trinken.«
»David liebt es, andere zu bemuttern. Ich war so in die Arbeit im Gewächshaus vertieft, dass ich die Zeit vergessen habe.«
Ihre Stimme klang lebhaft. Nicht abgehackt – man kann die Südstaatenvokale nicht abgehackt sprechen –, sondern klar und voller Energie. »Sie sehen jünger aus, als ich erwartet habe. Sie sind, wie war das noch mal, dreiunddreißig?«
»Ja.«
»Und Ihre Söhne sind ... sechs und acht?«
»Ja, das ist richtig.«
»Sie haben die beiden nicht mitgebracht?«
»Nein. Im Moment sind sie bei meinem Vater und dessen Frau.«
»Ich mag Will und Jolene sehr. Wie geht es den beiden ?«
»Gut. Sie genießen es, ihre Enkel um sich zu haben.«
»Das kann ich mir vorstellen. Wenn mir Ihr Daddy von Zeit zu Zeit die Fotos seiner Enkelsöhne zeigt, platzt er jedes Mal vor Stolz.«
»Ich bin unter anderem wieder hierher gezogen, damit meine Söhne mehr Zeit mit ihm verbringen können.«
»Das ist ein guter Grund. Ich habe kleine Jungen auch gern um mich herum. Die Tatsache, dass Sie mit zwei Söhnen kommen, hat Ihnen zum Vorteil gereicht. Dazu Ihr Lebenslauf, die Empfehlung Ihres Vaters, das Zeugnis Ihres früheren Arbeitgebers – tja, da ist nichts zu beanstanden.«
Den Blick auf Stella gerichtet, nahm sie ein Plätzchen vom Tablett und biss hinein. »Ich brauche jemanden, der organisieren kann, der kreativ, fleißig, sympathisch und belastbar ist. Leute, die für mich arbeiten, sollten mit mir Schritt halten können – und ich lege ein ziemliches Tempo vor.«
»Das habe ich gehört.« Gut, dachte Stella, kommen wir zügig zur Sache. »Ich habe einen Abschluss in Gartenbau und Betriebswirtschaft. Bis auf die drei Jahre, in denen ich wegen der Kinder zu Hause war und nur meinen eigenen Garten und die zweier Nachbarn gestaltet habe, war ich ständig in diesem Bereich tätig. Seit dem Tod meines Gatten vor mehr als zwei Jahren ziehe ich meine Söhne allein groß und arbeite als Vollzeitkraft in meinem Beruf. Ich habe beides gut hinbekommen. Ja,
ich kann mit Ihnen Schritt halten, Mrs. Harper.
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