Blüte der Tage: Roman (German Edition)
Nachdenklich neigte Roz den Kopf zur Seite. »Komisch, dass noch niemand auf diese Idee gekommen ist – mich eingeschlossen. Ich werde Ihnen helfen. Das wird sicher interessant.«
»Ganz schön imposant.« Ehrfürchtig blickte sich Hayley in der Bibliothek um. Auf dem langen Tisch hatte Stella die Fotoalben, die dicke Bibel, Kartons mit alten Unterlagen, ihren Laptop und mehrere Notizblöcke ausgebreitet.
»Ich kann immer noch nicht fassen, dass du sie auch gesehen und nichts davon erzählt hast«, sagte Stella.
Hayley zuckte die Achseln. »Ich hatte Angst, du würdest mich für bekloppt halten. Außerdem habe ich, bis auf dieses eine Mal, immer nur einen flüchtigen Schatten erspäht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte es noch nie mit einem echten Geist zu tun. Cool. Und diese Bibliothek hier ist einfach der Hammer.«
Hayley und ihr Vater hatten Bücher geliebt; ihr Wohnzimmer war voller Bücher gewesen, die in Zweierreihen in Regalen standen oder stapelweise auf Tischen und Sesseln herumlagen.
Doch dies war eine echte Privatbibliothek. An den Wänden mit den langen Fenstern standen wunderschöne Bücherschränke aus dunklem, schimmerndem Holz, und in der hinteren Hälfte des Zimmers stieg der Parkettboden zu einer Art Plattform an, auf der sich der lange Lesetisch befand. Dank der dunkelgrünen Wände und
dem hellen Grau des Kamins wirkte der Raum trotz der zahllosen Bücher nicht erdrückend. Auch die Kerzenleuchter und die gerahmten Familienfotos auf dem Kaminsims verbreiteten Behaglichkeit.
Da und dort befanden sich noch weitere Fotos, und überall gab es so faszinierende Dinge zu entdecken wie antike Schalen, Statuen, Uhren. Natürlich fehlten auch in diesem Raum die Blumen nicht – ein Strauß dunkelroter Tulpen in einer breiten, alten Glasvase.
Zum Sitzen gab es etliche bequeme, butterweiche Ledersessel und ein breites Ledersofa. Obwohl von der Decke ein Kronleuchter herabhing und auch die Bücherschränke beleuchtet waren, standen da und dort kleine Leselampen mit hübschen geschwungenen Schirmen herum. Auf dem Boden lagen erlesene Läufer mit ausgefallenen Mustern und Ornamenten.
»Ich glaube, das wird fortan mein Lieblingszimmer sein«, sagte Hayley voller Begeisterung. »Das habe ich zwar bei jedem Zimmer gedacht, das ich in diesem Haus zum ersten Mal betreten habe, doch dieses hier übertrifft alles. Es ist unglaublich vornehm, und gleichzeitig würde man sich nicht scheuen, auf dem schönen Ledersofa ein Nickerchen zu halten.«
»Ich weiß, was du meinst.« Stella sah von dem Fotoalbum auf, durch das sie gerade geblättert hatte. »Hayley, bitte denk daran, dass du den Kindern nichts von dieser Sache erzählst.«
»Natürlich.« Sie setzte sich zu Stella an den Tisch. »Hey, wir könnten eine Séance veranstalten. Das wäre schön gruselig.«
»So weit bin ich noch nicht«, erwiderte Stella und winkte David zu, der gerade hereinkam.
»Ein kleiner Geisterjäger-Imbiss«, verkündete er, während er sein Tablett auf dem Tisch absetzte. »Kaffee, Tee, Plätzchen. Ich wollte mich zum Servieren eigentlich in ein Leintuch hüllen, hatte aber Angst, euch Mädels zu sehr zu erschrecken.«
»Sehr witzig.«
»Natürlich bin ich auch bereit, die Ärmel hochzukrempeln und aktiv mitzumachen.« Er zeigte auf Stellas Laptop. »Wozu soll der gut sein?«
»Notizen. Daten, Fakten, Thesen. Keine Ahnung. Das ist mein erster Tag in diesem Job.«
Mit einem weiteren Karton bepackt, kam Roz herein. Auf ihrer Wange war ein Staubfleck und in ihrem Haar schimmerten silbrige Spinnennetzfäden. »Haushaltsbücher und anderer Kram vom Dachboden. Es gibt noch mehr, aber für den Anfang sollte das genügen.«
Grinsend stellte sie den Karton auf dem Tisch ab. »Das wird ein Riesenspaß. Warum habe ich das nicht schon längst gemacht? Womit wollen wir beginnen?«
»Ich dachte an eine Séance«, schlug Hayley vor. »Vielleicht kann sie uns mitteilen, wer sie ist und warum ihre Seele in dieser Seinsebene gefangen ist. Das ist nämlich so bei Geistern. Sie sind gefangen, und manchmal wissen sie gar nicht, dass sie tot sind. Ganz schön unheimlich, was?«
»Eine Séance«, murmelte David und rieb sich die Hände. »Wo hab ich nur meinen Turban gelassen?«
Als Hayley in lautes Gelächter ausbrach, klopfte Stella mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Etwas mehr Ernst, wenn ich bitten darf. Ich finde, wir sollten zunächst ganz rational vorgehen. So könnten wir zum Beispiel versuchen, sie einer bestimmten
Weitere Kostenlose Bücher