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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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fallenden Erdklumpen glitzernde Eintagsfliegen ins Zimmer schwirrten und sie für einige Momente umschwärmten. Doch zwischen ihnen schwamm wie ein unheildrohender Schatten der Tulpenfisch!
    Bergers Brummen brachte sie zur Besinnung, er wies auf das Kind. In der Hand des Kleinen steckte ein Splitter, und er beobachtete neugierig und ohne Furcht, wie das Blut herabtropfte.

Die Grasmusik erklingt wieder!
    Von Zeit zu Zeit erhielt sie von Zsófia ein Paket. Neben einem Heine-Band mit Goldrücken lag eine Stange Wurst und Wiener Marzipan. Die Wüstenblume schickte gepresste Blumen, Glacéhandschuhe, ein Tuch aus Kaschmirwolle, ein Tintenfass mit Kupferdeckel und eine Feder mit Silberspitze, ab und zu auch Dörrpflaumen, Rosinen, eine Schachtel Grieben, eine Seidenbörse, mit Glasperlen verziert. Wie interessant, schrieb Zsófia, dass ein österreichischer Schriftsteller, als er vorhatte, über Wien zu schreiben, über die Stadt, deren Tage und Nächte er beobachtete, zuerst auf den Stephansturm stieg und die Stadt von oben studierte. Und was sah er?! Winzigkeiten, nach Käferart herumlaufende Menschen, statt Straßen voller Düfte und Farben verschlungene Labyrinthe, die Illusion des Ganzen, das Spiel mit dem Raum. Würde man Imre über das Vaterland befragen, würde er sich bücken und erst eine Handvoll Erde aufheben, bevor er zu sprechen begänne. Würde man Peter fragen, würde er sich selbst erörtern, doch deswegen darf man ihm nicht böse sein. Wissen Sie, Klara, wie Goethe sich von seiner Höhenangst geheilt hat? Er stellte sich jeden Tag auf einen Felsvorsprung!
    Ach, die Wüstenblume schwätzte, sie schwätzte immer nur!
    Klara dachte an ihren Vater, der ertrunken war, da hatte der Vater ja nichts anderes gemacht als der große Goethe. In andererHinsicht hatte Zsófia unrecht. Wenn Imre von seinem Vaterland sprach, ging er fort, weit fort, wenngleich nicht in große Höhen, nur eben weit fort.
    Sie zerriss den Brief, damit er ihr fehlen möge, und sie schämte sich, weil sie anscheinend auch das von Imre gelernt hatte. Ein giftiger, nicht zu besänftigender Zorn darüber, dass Peter Somnakaj mitgenommen hatte, raubte ihr die Ruhe. Oft zertrümmerte sie Gläser, ihr kleiner Sohn lachte, auch er begann, mit Glas zu werfen, und sie wies ihn nicht zurecht, ließ es zu. Als sie dann die Scherben auf die Schaufel kehrte, blendete sie das Gefunkel. Ihr fiel ein, was Herr Schütz von heiratenden Juden erzählt hatte, bei der Verlobung zerbrechen sie ein Glas, um nicht all das lauernde Unheil zu vergessen. In einem Honigglas entdeckte sie einen kleinen weißen Falter, dort bin ich, flüsterte sie, dort bin ich! Sie lief auf die Straße hinaus und drückte der Struwwelmadonna, die vor dem Haus herumscharwenzelte, ein Stück Marmeladenbrot in die Hand, sie war ein Waisenkind, das singend bettelte.
    Doch außer, dass sie sich bedauerte und betrauerte und ihre Verlassenheit mit Tränen begoss, geschah noch etwas anderes. Als sie eines Morgens erwachte, hörte sie die Musik wieder. Es dauerte nur einige Augenblicke, das kurze Zittern eines Zweiges, ein paar sachte Windstöße hatten die Klänge ans Fensterglas geworfen, doch sie wusste sogleich, dass der Grasmusikant zurückgekehrt war! Der Grasmusikant musizierte wieder! Und von nun an hörte sie die Musik auch durch das Brausen des Sturms, auch durch das Brüllen des sternenlosen Himmels hindurch, sie hörte die Grasmusik, während sie deutlich spürte, dass es nicht die alte war, nicht diejenige, auf die der Vater sie aufmerksam gemacht hatte, nicht die Grasmusik, die ihr in ihrer Mädchenzeit übers Gesicht, über den Bauch geflutet war. Zwar betrieben die Menschen Sabotage und wollten kein Deutsch verstehen, doch die ins Unglück Geratenen mieden sie wie ansteckende Kranke. Auch Klara ließ man beim Schnittwaren- oder Papierwarenhändler vor, sie machte jedoch nie von dem Angebot Gebrauch. Wenn sie die Tür eines Ladens öffnete, wurde es still, und danach redeten die Leute nicht über dasselbe wie zuvor. Manchmal hörte sie, was in besserwisserischem, zweideutigem Tonfall geflüstert wurde. Die ist wirklich ihr Geld wert! Ganz nach ihrem närrischen Vater ist sie geraten, nach ihrem Vater! Beim Fleischer traf sie ihre Wahl nach längerem Überlegen, sie mochte den Geruch von Fleisch. Der Fleischer duldete es lange, dann sagte er einfach, sie solle woanders hingehen. Von da an brachte Herr Schütz ihr Fleisch. Als hätten sie sich gar nicht entzweit, ließ Peter ihr

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