Blumenfresser
vergebliche Eile so geärgert, dass er sich entschied, justament nicht seiner Wege zu gehen, also öffnete er das Hoftor und trat, wenngleich er im Hof über ein in der Erde steckendes Messer stolperte, ohne zu zögern ins Haus und gleich auch ins Wohnzimmer von Ignác Derera.
Hagar, die Frau des Knopfhändlers, eine dünne, doch vollbusige Person, fuhr sich mit der Hand vor den Mund und erstarrte zur Unbeweglichkeit, als wäre der Teufel hereingestürzt. Die fünf Kinder, denn sie hatte ihrem Mann fünf Söhne geschenkt, saßen wie Orgelpfeifen nebeneinander auf ihren Holzstühlen. Mit ihren blauen Augen und sommersprossigen Nasen sahen sie einander unwahrscheinlich ähnlich. Der größte, er hieß Armin, hatte schon die Bar-Mitzwa hinter sich. Im Gegensatz zu ihrer Mutter maßen sie den Doktor neugierig und ohne Furcht, doch auch sie sagten nichts. Einen Moment lang schwankte er, ob er sie am heutigen Tag mit seinem Angebot überhaupt stören durfte, doch der Luftzug aus der Küche wehte ihm einen so kräftigen Bohnenduft ins Gesicht, dass er sich anders entschied. Er winkte der vor Entsetzen bebenden Hagar beruhigend zu, es werde nichts passieren. Die Kinder starrten ihn immer noch an, die Beine des Kleinsten reichten nicht bis zum Boden, er ließ sie gemächlich baumeln.
Ignác Derera lag wie ein Toter auf dem Bett, die Hände über dem gewölbten Bauch verschränkt, nicht einmal die Schnürschuhe hatte er abgelegt. Er mochte sich gerade ausgestreckt haben, auf dem Tisch lag das offene Gebetbuch, auf einem kleineren Stuhl reihten sich Wachskerzen, um die abendliche Erbauung zu erhellen. Die Küchentür war halb offen, auf dem Herd stapelten sich Töpfe, in der Ecke lag ein Berg schmutziger Kinderkleider, und auf dem großen Tisch, neben dem Gebetbuch, standen Porzellanteller mit Überresten des Schalet und zerfledderten Brocken eines Striezels darin, und wie zur Erinnerung an kindliche Schandtaten färbten mehrere Marmeladenfleckendas gestickte Tischtuch rot. In der Wohnung glänzten die verschiedensten Knöpfe, in allen möglichen Farben und Formen, der Fußboden, der Schrank, der Tisch, das Fensterbrett waren voll von ihnen, sogar neben Derera auf dem Bett lagen welche. Eine Blumenwiese, dachte der Arzt, wonach der Händler die Augen auf eine Weise öffnete, als wären seine Augäpfel in Öl schwimmende Oliven. Doch in seinem Blick war kein Licht, und wie faltige Vorhänge senkten sich die Lider sogleich wieder. Der Arzt ergriff einen Stuhl, stellte ihn neben das Bett und ließ sich rittlings darauf nieder.
Er schläft, Reb Schütz, flüsterte Hagar hinter ihm, doch das hörte er gar nicht, er musterte Dereras rotes Gesicht.
Ich möchte ein paar Worte an dich richten, mein lieber Freund Derera, fing Doktor Schütz an, worauf die Brauen des Angesprochenen sich hoben, als staune er im Schlaf.
Möglicherweise ist es nicht der passende Zeitpunkt, so bei dir einzubrechen, räusperte sich der Doktor, wenn du und deine Brüder und Schwestern die Königin Sabbat feiern!
Derera räusperte sich und spitzte die Lippen, doch seine Augen blieben weiter geschlossen.
Sicher erinnerst du dich an eines der wertvollsten Stücke meiner Steinsammlung, nahm der Doktor einen Anlauf, an den Olmützer Bernstein, der eine vorzeitliche Blumenblüte verewigt und für den der berühmte Sammler Baron Podmaniczky, ja sogar der Sekretär der Lobkowitz-Sammlung ein Angebot gemacht hat. Du musst dich erinnern, der Doktor warf einen Blick auf das größte Kind, denn als Armin Brustschmerzen hatte, kamst du selbst zu mir gelaufen, und während du mich um Hilfe batst, hast du dir die Rarität angesehen. Und du hast bemerkt, dass auf der im Bernstein erstarrten Blüte ein kleiner Käfer haftete! Du hast begeistert gerufen, um eine Lupe gebeten und versichert, der Käfer erinnere dich an deinen guten Onkel Samuel, der bei den Oppenheimers in Wien Hausschneider war und dich das Laufen und Sprechen gelehrt hat! Ach, nimm es mir nicht übel, dass ich dir jetzt mit diesen herzzerreißenden Erinnerungenkomme, denn es gibt für Eltern kaum ein schmerzlicheres Ereignis als die Krankheit eines Kindes, und ich weiß sehr wohl, dass das Volk mosaischen Glaubens sich am Sabbat freut und in seinem Herzen dem Kummer keinen Raum lässt.
Derera ächzte, warf sich hin und her, kein Zweifel, er schlief nicht gut.
Doch was für eine Freude war es, fuhr Herr Schütz fort, als Armin gesund wurde! Er ist ein prächtiger großer Junge geworden, und es ist auch
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