Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
ein.
»Du darfst die Sache nicht selbst in die Hand nehmen.« Doch es ist sinnlos. Sie hat es bereits getan, und ich bin die Letzte, die ihr gute Ratschläge geben sollte.
Immerhin habe ich die Dinge auch selbst in die Hand genommen, als ich hierher nach Savannah kam. Ebenso letzte Nacht und heute. Ich habe getan, was ich für nötig hielt. Nun ist Jaime tot, und das nur, weil ich das Bedürfnis hatte, mich von meinen Schuldgefühlen und meinem Schmerz zu befreien und etwas zu reparieren, was irreparabel ist. Jack Fielding ist und bleibt tot.
»Benton wollte nur dein Bestes«, erkläre ich Lucy. »Ich weiß, dass du wütend auf ihn bist, weil er dich nicht in die Wohnung gelassen hat.«
»Es ist kein Zufall, dass du vor dem Haus gestanden hast, als die Frau mit der Sushitüte aufgekreuzt ist«, wechselt Lucy das Thema. Sie hat nicht vor, Jaime oder Benton zu erörtern. »Sie wollte dir die Tüte persönlich überreichen, damit du sie mit ins Haus nimmst. Jetzt sind vielleicht deine Fingerabdrücke und deine DNA darauf. Und die Kamera zeigt ganz deutlich, wie du mit einer Sushitüte, die du bestellt hast, das Gebäude betrittst.«
»Die ich bestellt habe?« Ich denke an den gefälschten Brief an Kathleen Lawler, der angeblich von mir stammt.
»Als Marino mir von der Lieferung erzählt hat, habe ich telefonisch bei Savannah Sushi Fusion nachgefragt. Dr. Scarpetta hat die Bestellung gestern kurz nach sieben Uhr abends aufgegeben. Dreiundsechzig Dollar und siebenundvierzig Cent. Du wolltest sie selbst abholen.«
»Das habe ich nie getan.«
»Und prompt wurde sie gegen Viertel vor acht abgeholt.«
»Nicht von mir.«
»Natürlich nicht von dir. Bezahlt wurde nicht mit einer Kreditkarte, sondern in bar. Obwohl ihre Kreditkartennummer hinterlegt war.« Sie meint die von Jaime.
»Die Frau, die die Tüte abgegeben hat, wusste von der Kreditkarte. Sie hat es selbst erwähnt.«
»Das ist mir bekannt«, erwidert Lucy. »Die Überwachungskamera hat es nämlich aufgezeichnet. Bargeld ist die sauberste Lösung. Keine telefonischen Nachfragen. Keine Zweifel. Keine Diskussion darüber, warum jemand namens Scarpetta eine fremde Kreditkarte benutzen darf. Das Restaurant ist ein kleiner Familienbetrieb mit wenigen Sitzplätzen. Der Großteil des Umsatzes läuft über Verkäufe außer Haus. Die Frau, mit der ich gesprochen habe, konnte sich nur noch dunkel an die Kundin erinnern, die die Bestellung abgeholt hat.«
»Mit dem Fahrrad?«
»Das weiß sie nicht mehr. Auf das Fahrrad komme ich aber gleich noch. Die Frau sei jung gewesen. Weiß. Mittelgroß. Sprach englisch.«
»Das würde auf die Kurierfahrerin passen, auch wenn es uns nicht viel weiterhilft.«
»Eigentlich würde mein Verdacht zuerst auf Dawn Kincaid fallen, aber die hat das kleine Problem, dass sie hirntot und in Boston ist.«
»Woher konnte diese Person wissen, dass ich genau um die Uhrzeit, als ich die Haustür geöffnet habe, mit Jaime verabredet war? Ich habe es ja selbst erst in letzter Minute erfahren.«
»Sie hat dich beobachtet. Dir aufgelauert. Auf dem Platz gegenüber steht doch diese alte Villa, die so groß ist wie der ganze Häuserblock. Das Owens-Thomas House ist inzwischen ein Museum und hat abends geschlossen. Auf dem Platz ist nicht viel los. Außerdem gibt es dort viele hohe Bäume und Gebüsch, genug dunkle Schatten, in denen man sich herumdrücken kann, um jemanden abzupassen«, antwortet sie. Ich denke daran, wie ich gestern spätnachts vor Jaimes Haus gestanden und auf Marino gewartet habe. Ich hatte den Eindruck, dass sich auf der anderen Straßenseite etwas in der Dunkelheit bewegte.
Lucy nimmt die Seiten aus dem Drucker und stößt sie auf, sodass ein ordentlicher Stapel entsteht. Das oberste Blatt zeigt ein Foto aus der Überwachungskamera. Das herangezoomte Bild in verschiedenen Grauschattierungen stellt eine Person dar, die ein Fahrrad über die Straße schiebt. Im Hintergrund ragt die Villa hoch in den Nachthimmel hinein.
»Oder ich bin vom Hotel aus verfolgt worden«, merke ich an.
»Eher nicht. Zu riskant. Da war es weniger gefährlich, das Essen abzuholen, auf der anderen Straßenseite herumzulungern und abzuwarten.«
»Doch wie konnte sie wissen, dass ich überhaupt dort sein würde?«
»Das ist das fehlende Glied in der Kette«, erwidert Lucy. »Wer hat zu beiden Seiten Kontakt?«
Lucy klickt sich auf dem MacBook durch ein Menü. Die beiden anderen Notebooks auf dem Schreibtisch spulen offenbar Suchprogramme ab.
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