Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Fenster und den tosenden Wellen hin, während sie vorsichtig an dem dampfenden Tee nippte. Dann richtete sie den Blick wieder auf sie.
»In meinem tiefsten Inneren habe ich Kissi sehr gemocht. Kissi war eine warmherzige und lebenskluge Frau. Sie strahlte vor positiver Energie, und das hat auf ihre Umgebung abgefärbt. Auch auf mich, und ich kann es Ihnen gegenüber auch gleich zugeben: Ich war ein wenig eifersüchtig auf sie und bin es immer gewesen.«
Karen Schack sah schuldbewusst aus, und Reza beeilte sich anzumerken, dass Eifersucht unter Geschwistern ein ganz normales Phänomen sei. Wenn du wüsstest, überlegte Rebekka und dachte kurz an ihren kleinen Bruder, Robin, der mit sieben Jahren in der Nordsee ertrunken war, während Rebekka auf ihn aufgepasst hatte. Sie erinnerte sich, dass sie noch lange nach seinem Tod zwischen einer tiefen Sehnsucht nach ihm und einer heftigen Eifersucht, dass die Eltern, vor allem die Mutter, oft darüber sprachen, wie sehr sie ihren verstorbenen Sohn geliebt hatten, hin und her gerissen gewesen war.
»Unsere Eltern sind verhältnismäßig früh gestorben. Vater war, wie gesagt, Architekt und sehr bekannt, und Mutter war Grafikerin, was damals sehr unüblich war. Es war vorauszusehen, dass wir den gleichen Weg einschlagen würden. Ich habe das natürlich getan, ich bin schließlich auch die Ältere von uns. Die Ältere ist die, die die Regeln befolgt – sagt man das nicht?«
Karen Schack lachte hohl, dann holte sie ein Päckchen Zigarillos aus der Tasche und schüttelte einen heraus. »Sie erlauben?« Sie wartete ihre Erlaubnis nicht ab, sondern zündete ihn mit einem flachen Silberfeuerzeug an. Sie inhalierte den Rauch kräftig bis tief in die Lungen, bevor sie ihn wieder ausstieß, gefolgt von einem leisen, röchelnden Husten.
»Sie bringen einen um«, sagte sie heiser und schien wieder präsent. Rebekka beugte sich zu ihr vor.
»Ich möchte gerne, dass Sie mir alles, absolut alles, was Ihnen wichtig erscheint, über Ihre Schwester erzählen.«
»Natürlich.« Sie zögerte kurz. »Aber vorher muss ich etwas wissen. Wie ist sie gestorben?« Karen Schack rutschte nervös hin und her und fügte hinzu: »Die Zeitungen schreiben alles Mögliche, und ich habe die schrecklichsten Vorstellungen, was ihre letzten Minuten angeht.«
Rebekka nickte und verfluchte den Drang der Journalisten, die Wirklichkeit auszuschmücken. Sie hatte auf dem Weg hierher diverse Titelseiten gesehen mit Überschriften wie »Sexualmord auf dem Kastell« und anderen falschen Behauptungen.
»Wir haben gerade den vorläufigen Obduktionsbericht erhalten. Ihre Schwester wurde mehrmals ins Gesicht und auf den Kopf geschlagen. Die massiven Schläge haben zu einer heftigen Blutung im Gehirn geführt, an der sie gestorben ist.«
»Dem Mord liegen also keine sexuellen Motive zugrunde?«
»In keiner Weise«, antwortete Rebekka beschwichtigend, und Karen Schack sackte sichtlich erleichtert ein wenig in sich zusammen.
»Das freut mich, trotz allem. Anders wäre es nicht auszuhalten gewesen.« Karen Schack inhalierte tief. »Es erschüttert mich zutiefst, dass jemand meine Schwester umgebracht hat. Meine kleine Schwester. Es fühlt sich so unwirklich an, als wäre man Teil eines schlechten Horrorfilms. Aber es tröstet mich, dass Mutter und Vater das nicht mehr erlebt haben. Durch ihren frühen Tod ist ihnen vieles erspart geblieben.« Karen Schack streifte die Asche des Zigarillos in einem Keramikaschenbecher ab, der genau wie die Teetassen und die Sitzgruppe in meerblauen Tönen gehalten war. Nachdenklich lehnte sie sich auf dem Sofa zurück. Eine Möwe flatterte am Fenster vorbei. Rebekka und Reza sahen sie schweigend an, warteten ab.
»Sie hätten bestimmt gern, dass ich eine Vermutung äußere, wer so etwas tun könnte, aber ich muss Sie enttäuschen. Ich habe keine Ahnung. Absolut keine. Kissi war schließlich beruflich und privat sehr beliebt, selbst ihr Exmann hat sie noch geliebt. Doch obwohl sie meine kleine Schwester war, habe ich nicht gewusst, was sie in ihrem tiefsten Innern gedacht und gefühlt hat. Wir waren leider nicht die engsten Vertrauten, Kissi und ich, obwohl ich eigentlich nicht weiß, warum das so war.«
»Sie haben vorhin von Eifersucht gesprochen. Warum waren Sie eigentlich eifersüchtig auf Ihre Schwester?«
Karen Schack sah Rebekka einen Augenblick verwirrt an.
»Ach, ich glaube, ich war auf Kissis Selbstverständlichkeit eifersüchtig, eifersüchtig darauf, dass sie ihrem
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