Blut klebt am Karlspreis
schwach. „Oder macht sich jemand nur einen Spaß und wir alle fallen darauf herein?“
Für einen derben Spaß seien aber schon zu viele Scherben zerbrochen worden, wandte ich ein. Der tote Neonazi sei dabei der makabre Höhepunkt. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der verkappte Schriftsteller nur ein Trittbrettfahrer ist, der die Aktionen anderer kommentiert. Dafür hat er zu viele Kenntnisse, die andere nicht haben.“
„Das ist eine harte Nuss, mein Freund“, bestätigte mir der Kommissar. „Ich hoffe nur, dass sie wirklich nichts mit dem Karlspreis zu tun hat.“
„Warum sollte sie?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Böhnke. „Ich weiß nur, dass Sie garantiert mit mir als Nussknacker tätig werden.“ Er machte bereitwillig das Zimmer frei für Sabine, die eingetreten war. Rücksichtsvoll, wie er war, wollte er unsere Zweisamkeit nicht stören. Weniger rücksichtsvoll war hingegen mein Chef. Als mich Sabine am Morgen am Templergraben abholte und ich an Krücken in die Kanzlei gehumpelt kam, sagte er nur: „Wird höchste Zeit, dass du dich hier mal wieder blicken lässt. Du glaubst wohl auch, dass du dein Geld fürs Nichtstun bekommst.“
Ich hätte doch auf Sabine und den Arzt hören sollen, anstatt mich in der Kanzlei von dem Schnösel anraunzen zu lassen. Es ist halt schön, gute Freunde zu haben, versuchte ich es mit positivem Denken. Bestimmt würde sich auch einmal für mich die Gelegenheit ergeben, Schulz eins auszuwischen. So humpelte ich wortlos in mein Büro, sehnte mich nach meinem Bett und hockte mich ächzend in den Sessel.
Mein Chef war mir gefolgt. „Damit es nicht zu anspruchsvoll für dich wird, habe ich dir leichte Kost mitgebracht“, sagte er ironisch und warf mir die Tageszeitungen auf den Schreibtisch. „Mit was für einer Brut beschäftigst du dich eigentlich? Warst du als Student etwa auch so renitent?“
„Wieso?“
„Dann schau’ mal in die Zeitungen“, gab Dieter mir zur Antwort. Neugierig schlug ich die AN auf. „Studenten verschanzen sich“, las ich dort. „Barrikaden sollen vor Räumung schützen.“ Die AZ hatte ähnliche Überschriften. „Mit Brettern gegen Zwangsräumung“, hatte der Reporter getitelt.
Die Studenten hätten sich in dem besetzten Haus an der Monheimsallee eingebunkert. Auch ohne Strom, Wasser und Gas wollten sie ihre Bleibe nicht aufgeben. „Wir lassen uns nicht in die Obdachlosigkeit vertreiben“, sagte eine Studentin. Sie hoffe mit ihren Freunden auf öffentliche Unterstützung und ein Einlenken des Hauseigentümers.
,Warum sollte er?’, dachte ich mir. Brandmann hatte überhaupt nichts zu verlieren, brauchte sich nicht um seinen Ruf in der Kaiserstadt zu sorgen und hatte zudem das Recht auf seiner Seite.
Warum die Zeitungen so wohlwollend über die Hausbesetzer schrieben, konnte ich mir nur damit erklären, dass sie sich als Vertreter Aachener Interessen sahen. Brandmann würde garantiert keines der Blätter abonnieren, die Studenten hingegen waren Leser, potentielle Käufer, eventuelle Abonnenten.
„Mit dieser Ansicht gehst du wohl etwas zu weit“, bremste mich Sabine. „Ich finde es gut, wenn sich die Studenten für ihre Stadt einsetzen. Immerhin geht es um ein typisches Aachener Haus, wie sie früher überall auf dem Alleenring gestanden haben. Davon werden immer noch viel zu viele abgerissen.“
Ich musste unwillkürlich schmunzeln. Da machte sich bei Sabine wieder der Öcher Patriotismus breit, der mir als Nicht-Aachener völlig abging. Wenn es nach ihrem Geschmacksempfinden ginge, sähe die Aachener Innenstadt noch so aus wie zu Kaiser Karls Zeiten und würde das Trinkwasser aus Brunnen geschöpft.
„Warum kann der Typ nicht die Fassade stehen lassen und nur das Innere sanieren?“, fragte Sabine.
„Warum sollte er?“, hielt ich dagegen. „Der Schuppen ist inzwischen abrissreif. Der ist nur noch Schrott.“ Das war nur ein Argument, dem ich rasch ein zweites hinterherschob. „Und wir müssen auch Platz schaffen für eine neue Architektur. Wenn wir schon in Aachen Architekturstudenten am Fließband ausbilden, dürfen wir nicht auf dem Alten beharren. Wir können uns dem Neuen nicht verwehren.“
„Ich bin dagegen, dass dein Mandant die Studenten vertreibt und das Haus radikal verändert“, blieb Sabine beharrlich bei ihrer Meinung. „Daran solltest du arbeiten, mein Liebster.“
„Ist das deine Auffassung oder steckt dein Schwager dahinter?“,
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