Blut und rote Seide
Suppe. »Woher ich sie kenne? Sie ist eines der letzten fehlenden Glieder in einer langen Kette.«
»Wie soll ich das verstehen, Chef?«
»Sie war Jias Freundin. Seine Impotenz war der Grund für ihre Trennung.«
»Dann ist Ihr Szenario also doch nicht bloß Vermutung«, merkte Yu an und stellte seine Schale auf den Tisch zurück. »Das würde passen. Er hat seine Opfer entkleidet, aber nicht vergewaltigt. Worauf warten wir noch? Es ist Donnerstag nachmittag.«
»Morgen ist die Verhandlung im Wohnungsbauskandal«, sagte Chen. »Wenn wir jetzt eingreifen, würde das als Sabotage des Gerichtsverfahrens gewertet.«
»Moment – morgen soll die Verhandlung sein?«
»Ja, die Sache spitzt sich zu. Der Fall wurde in der Presse genau verfolgt. Wenn wir Jia jetzt verhaften, werden die Leute das als politische Einflußnahme sehen, egal, was gegen ihn vorliegt. Andererseits könnte das auch ein Vorteil für uns sein. Die Verteidigung ist ihm wichtig. Auch ihm ist daran gelegen, daß alles nach Plan läuft.«
»Ein fatales Zusammentreffen. Wenn unsere Beweise nicht absolut stichhaltig sind, werden die Leute einen Märtyrer aus ihm machen«, sagte Yu. »Aber ich könnte ihn festsetzen, zumindest für vierundzwanzig Stunden, damit er uns heute nacht nicht entwischen kann. Offiziell weiß ich ja nichts von der Sache mit dem Wohnungsbauskandal. Mir könnte also ein solcher Fehler leicht unterlaufen.«
»Nein, ich werde ihn heute abend in eine Falle locken. Ich habe weniger zu verlieren – und eine Trumpfkarte im Ärmel, die es wert ist, ausgespielt zu werden. Falls sie nicht sticht, können Sie ihn immer noch festsetzen. Ich bin schließlich nicht offiziell mit den Ermittlungen betraut.«
»Was reden Sie da, Chef?« fiel ihm Yu ins Wort. »Was immer Sie vorhaben, auf mich können Sie zählen.«
»Das ist gut, denn ich werde Sie brauchen. Erinnern Sie sich noch an den Trick mit der Anzeige wegen eines Verkehrsdelikts, den wir im Fall der Modellarbeiterin angewandt haben?«
»Ja. Sie wollen, daß ich seinen Wagen durchsuche?«
»Genau. Während ich ihn den Abend über ablenke, lassen Sie den Wagen abschleppen und gründlich untersuchen. Der Alte Jäger wird Ihnen dabei behilflich sein. Ich habe schon mit ihm gesprochen.«
»Und wenn wir nichts finden?«
»Ich vermute mal, daß dieser Schlüssel für den Seiteneingang seines Büros paßt«, sagte Chen und riß den kleinen roten Umschlag auf. »Und hier ist ein Lageplan.«
»Sie hat Ihnen einen Schlüssel gegeben!« Yu konnte nur staunen. Peiqin mochte recht haben, daß Chen Beziehungsprobleme hatte, aber zweifellos wußte er mit Frauen umzugehen.
»Wenn Sie im Auto nichts finden, fahren Sie damit zu seinem Büro. Der dortige Sicherheitsdienst kennt seinen Wagen und wird Sie durchwinken. Parken Sie ihn auf dem Stellplatz, der im Lageplan eingezeichnet ist. Von dort kommen Sie unbemerkt zu der Seitentür.«
»Verstehe. Und was haben Sie währenddessen mit Jia vor?«
»Ich werde ihn in ein Restaurant an der Hengshan Lu einladen. Hier ist die Adresse. Lassen Sie einen Beamten in Zivil draußen postieren, aber sagen Sie ihm, er soll nur auf meine Anweisung handeln.«
»Wird Jia Ihrer Einladung folgen? Es ist doch schon Donnerstag nachmittag. Sicher hat er einen Plan für die kommende Nacht – und für die morgige Verhandlung.«
»Das werden wir gleich sehen«, erwiderte Chen und griff zu seinem Mobiltelefon. Er stellte den Lautsprecher an, so daß Yu mithören konnte. »Hallo, ich möchte bitte mit Herrn Jia Ming sprechen.«
»Am Apparat«, antwortete eine selbstsichere Stimme.
»Hier spricht Oberinspektor Chen Cao vom Shanghaier Polizeipräsidium.«
»Ah, Oberinspektor Chen. Was kann ich für Sie tun?« Eine Spur von Ironie schien sich in die Stimme geschlichen zu haben. »Ich vermute, es geht um den Wohnungsbauskandal. Morgen ist Verhandlung. Sie hätten mich früher anrufen sollen.«
»Das ist Ihr Fall, nicht meiner. Ich benötige Ihre Hilfe in einer ganz anderen Sache«, antwortete Chen. »Ich schreibe nämlich an einer Geschichte, für die ich sowohl juristische wie auch psychologische Beratung brauche, und da hielt ich Sie für den richtigen Ansprechpartner. Ich würde Sie gern heute abend zum Essen einladen.«
Am anderen Ende der Leitung blieb es einen Moment lang still. So etwas schien Jia nicht erwartet zu haben. Yu war nicht minder überrascht.
»Das ehrt mich«, erwiderte Jia schließlich, »aber leider paßt es mir heute abend nicht. Ich muß mich auf
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