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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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mit ihm selbst passiert. Sein Leben ist ohnehin nur ein lichtloser Tunnel. Allein seine große Liebe ist ihm wichtig. Und wie sieht es im vorliegenden Fall aus? Das Andenken der Mutter wird erneut der Schmach und Erniedrigung ausgesetzt, schlimmer als damals während der Kulturrevolution. Jedes Detail wird hervorgezerrt und schamlos aufgebauscht werden. Ich habe keine Kontrolle darüber, was den Reportern so alles einfällt.«
    »Erst phantasieren Sie diese Geschichte zusammen, und dann kümmern Sie sich nicht um die Folgen und vernachlässigen Ihre Pflicht als Polizist«, sagte Jia aufblickend. »Aber eins müssen Sie bedenken, Oberinspektor Chen. Der Prozeß um den Wohnungsbauskandal steht an einem entscheidenden Wendepunkt. Jede Aktion gegen den Verteidiger der Klägerseite wird als politischer Schachzug zur Vertuschung staatlicher Korruption ausgelegt werden. Die Medien verfolgen den Prozeß mit höchstem Interesse.«
    »Ich will Ihnen auch etwas verraten, Herr Jia. Vor einem Monat hat mich ein Regierungsvertreter beauftragt, mich mit dem Prozeß zu befassen. Ich habe abgelehnt. Warum? Weil auch ich möchte, daß diese korrupten Beamten verurteilt werden. Man hat mich trotz meiner Ablehnung über die jüngsten Entwicklungen auf dem laufenden gehalten. Vorhin habe ich hier im Zimmer einen diesbezüglichen Anruf entgegengenommen. In Beijing hat man sich, was den Ausgang des Prozesses anbelangt, zu einem Kompromiß bereit gefunden. Vielleicht haben Sie davon auch schon aus eigenen Kanälen gehört.«
    »Einen Kompromiß nennen Sie das? Dann wissen Sie ja, welch schmutziges Spiel da gespielt wird.« Nach einer Pause fuhr Jia fort: »In diesen Korruptionsfall sind nicht nur zahlreiche hochrangige Kader verwickelt, es geht zugleich um einen Machtkampf an der Führungsspitze. Sie sind kein Anfänger im politischen Geschäft, Oberinspektor Chen. Wenn Beijing den Prozeß hätte abwürgen wollen, wäre er nicht bis zu diesem Stadium gediehen. Glauben Sie wirklich, daß man dort eine so dramatische Wende begrüßen würde?«
    »Ja, von dem Machtkampf in der Verbotenen Stadt habe ich gehört«, bestätigte Chen.
    »Normalerweise versucht ein Anwalt, das Beste für seine Mandanten herauszuholen. Manchmal kommt es auch zu einem Vergleich. Wird aber Einfluß auf den Prozeß genommen, dann ist alles möglich. Deal hin oder her, am Ende könnten die Verbindungen jener bestechlichen Beamten aufgedeckt werden, ihre schmutzigen Machenschaften kämen ans Licht. Auch von den Hahnenkämpfen in der Verbotenen Stadt würde die Öffentlichkeit erfahren. Das wäre ein politisches Desaster! So etwas kann ein Polizist nicht verantworten. Sie müssen sich über die Konsequenzen im klaren sein, Oberinspektor Chen.«
    »Darüber bin ich mir durchaus im klaren, Herr Jia. Aber ganz gleich, wie das Szenario aussieht, das Töten Unschuldiger muß aufhören. Sobald die Menschen die Geschichte zusammen mit den Bildern zur Kenntnis nehmen, werden sie sich ein eigenes Urteil bilden können.«
    »Einige Journalisten sind gut informiert. Ich habe ebenfalls meine Kontakte. Wenn sie erst einmal die politischen Hintergründe kennen, werden sie Ihre Geschichte längst nicht so begeistert aufgreifen.«
    »Seien Sie unbesorgt, Herr Jia. Ich habe da noch ein paar andere Fotos, die mir die Aufmerksamkeit der Presse sichern werden, ungeachtet aller Politik.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Von den Fotos jenes schrecklichen Nachmittags. Ein Nachbarschaftspolizist, Genosse Fan, war vor Ort. Da ihm die Sache verdächtig vorkam, hat er Aufnahmen gemacht – am Fuß der Treppe, noch bevor die Sanitäter kamen und ihren nackten Körper mit einer Decke verhüllten.«
    »Sie meinen, wie sie damals nackt am Boden lag …«
    »Ja, genau jene furchtbare Szene, die Sie sich seither Tausende Male vorgestellt haben.«
    »Aber das ist unmöglich – ich meine solche Bilder – Fan hat mir nie etwas davon gesagt. Das ist nicht wahr. Sie bluffen.«
    Zum erstenmal machte Jia sich nicht mehr die Mühe, wie ein unbeteiligter Außenstehender zu klingen.
    »Ich werde Ihnen eines zeigen«, sagte Chen und nahm einen Abzug zur Hand. »Im Kleinformat. Ich habe von allen Aufnahmen auch Vergrößerungen anfertigen lassen, ziemlich viele.«
    Es war eine Nahaufnahme, die Mei splitternackt am Boden zeigte, eine Szene, zu der Jia sich an jenem Nachmittag zwar nicht mehr umgewandt hatte, die ihn seither aber trotzdem verfolgte.
    Jia riß das Foto an sich. Er machte keine Anstalten, seine

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