Blut und rote Seide
Sachbuch?«
»Die wahre Geschichte von Mei und ihrem Sohn, authentisch, nostalgisch, eindeutig und so tragisch wie die des Alten Herrenhauses hier. Das wird viele Menschen faszinieren. Die qipao -Morde müßte ich dabei gar nicht unbedingt erwähnen. Ein paar eingestreute Anspielungen würden genügen. Ich wette, das würde ein sensationeller Bestseller werden.«
»Wie können Sie sich so weit herablassen, Oberinspektor Chen! Und das alles, um einen Bestseller zu landen?«
»Es geht um die tragischen Ereignisse der Kulturrevolution und die nicht minder tragische Tatsache, daß ihre Aufarbeitung auch heute noch unterdrückt wird. Weder als Polizist noch als Schriftsteller kann ich darin etwas Verwerfliches entdecken. Falls es tatsächlich ein Bestseller wird, spende ich das Geld dem privaten Kulturrevolutionsmuseum in Nanjing.«
»Auch ein Sachbuchautor muß sich in acht nehmen, daß man ihm keine Verleumdungsklage anhängt, Oberinspektor Chen.«
»Ich bin Polizist und werde schreiben wie ein Polizist. Jedes Detail wird mit Beweisen untermauert, da kann mich eine Verleumdungsklage nicht schrecken. Die Vorgänge werden einer breiten Öffentlichkeit bekannt, und viele Journalisten werden sich dafür interessieren. Die sind hinter allem her, was den qipao -Fall betrifft. Keine Anspielung wird ihnen entgehen. Und ich habe da noch etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregen wird.«
»Eine weitere Trumpfkarte?«
»Erinnern Sie sich an die Fotos, von denen ich am Telefon sprach? Ich hätte Sie Ihnen längst zeigen sollen«, entschuldigte sich Chen. »Der alte Fotograf hat sechs Filme verknipst. Ich werde sie alle publizieren.«
Er holte die Abzüge aus seiner Aktenmappe und breitete sie auf dem Tisch aus.
Vermutlich mußte Jia seine ganze Beherrschung aufbringen, um sie nicht an sich zu reißen. Statt dessen warf er nur einen beiläufigen Blick darauf.
»Ich weiß ja nicht, was für Fotos das sind, aber Sie haben kein Recht, sie zu veröffentlichen.«
»Die Rechte liegen bei der Witwe des Fotografen. Eine arme alte Frau, sie könnte das Honorar für eine Publikation gut gebrauchen.« Chen nahm sich etwas von der Schlangenhaut, bevor er zu der Zeitschrift griff. »Als ich die Aufnahme zum erstenmal sah, drängten sich mir die berühmten Zeilen aus Othello auf: ›Gölt es, jetzt zu sterben, / Jetzt wär’ mir’s höchste Wonne, denn ich fürchte, / So volles Maß der Freude füllt mein Herz, / Daß nie ein andres Glück mir, diesem gleich, / Im Schoß der Zukunft harrt.‹ Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber ich kann verstehen, warum Sie jedem Ihrer Opfer einen roten qipao angezogen haben. Sie wollten Ihre Mutter und sich im Gedächtnis behalten, wie sie beide am glücklichsten waren. Womöglich haben Sie sogar Ihre Opfer in diesem Moment als glücklich und schön angesehen.
Ich werde also auf die Ähnlichkeit zwischen den Bildern und den Mordopfern verweisen. Bei einigen Aufnahmen sind sogar ein paar der Knöpfe am Ausschnitt geöffnet. Und auf mehreren davon läuft sie barfuß. Ganz zu schweigen von dem Kleid selbst: der gleiche Stoff, der gleiche Schnitt. Ich habe mir das von einem Experten bestätigen lassen. Und dann ist da noch der Bildhintergrund. Ein privater Garten. Bis auf das letzte Opfer waren alle Leichen von Blumen und Gras umgeben. Eine Parallele, deren symbolische Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Außerdem liegt das Blumenbeet, in dem das erste Opfer gefunden wurde, nur einen Steinwurf vom Konservatorium entfernt.«
»Sie täuschen Ihre Leser …«
»Keineswegs«, erwiderte Chen und fuhr unbeirrt fort. »Das Bild der gefeierten Herrin der Ming-Villa – heutzutage bekannt als Altes Herrenhaus – ist Beweis genug. Insgesamt existieren etwa achtzig Aufnahmen. Und von denen, die ich nicht in meinem Buch verwende, kann ich die eine oder andere an eine Illustrierte verkaufen. Das wird für gute Publicity sorgen, wie wäre es zum Beispiel mit der Überschrift: ›Der rote qipao – das Original‹. Daraufhin werden die Leute sämtliche Einzelheiten ans Licht zerren. Schmutzige Einzelheiten. Sensationelle Einzelheiten. Sexuelle Einzelheiten. Und ich werde sie nach Kräften dabei unterstützen.«
»Wir sollten unser Gespräch hier abbrechen, Oberinspektor Chen. Sie hatten mich hergebeten, um sich über eine Ihrer Geschichten zu unterhalten, und ich habe geduldig zugehört. Nun reden Sie auf einmal von einem Kapitalverbrechen und beschuldigen mich des Mordes. Das brauche ich mir wohl nicht
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