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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Authentizität anzuzweifeln.
    Die Schildkröte versuchte unterdessen immer wieder mit letzter Kraft, ihrem Schicksal zu entkommen und den Rand des Gefäßes zu erklimmen. Erfolglos.
    »Schrecklich, finden Sie nicht auch?« Chen hob seine Stäbchen in Richtung Glasgefäß.
    Es war in der Tat eine schreckliche Szene, die Jia da anstarrte, zumal wenn man sich vorstellte, daß Millionen von Lesern sie abgedruckt sehen würden.
    Die Exhumierung eines toten Körpers war nach chinesischer Sitte ein abscheulicher Akt, nur die Zurschaustellung einer nackten Leiche wäre noch verwerflicher. Deshalb hatte Genosse Fan die Fotos ja auch all die Jahre zurückgehalten. Sie waren Chens letzter Trumpf.
    »Wenn die Reporter das in die Finger kriegen, zusammen mit den Bildern aus dem Garten und denen der Mordopfer im roten qipao …«
    »Genug, Chen. Das ist verabscheuungswürdig«, stieß Jia hervor; seine Stimme glich dem Zischen aus dem Glasgefäß. »Das ist unter Ihrer Würde.«
    »Nichts ist unter meiner Würde, wenn es darum geht, diesen Fall zu lösen«, erwiderte Chen. »Und zum Thema verabscheuungswürdig möchte ich kurz auf mein Literaturreferat zurückkommen. Ich erwähnte ja, daß ich an einer Analyse einiger klassischer Liebesgeschichten arbeite. Die negative Wendung dieser Geschichten hat zum Teil mit der Projektion einer verächtlichen männlichen Sicht auf weibliche Sexualität zu tun, die ich die Dämonisierung der Frau bei der körperlichen Liebe nennen möchte, eine Phantasie, die als Archetyp tief im Unbewußten der chinesischen Kultur verankert zu sein scheint. Ich weiß, dies ist nicht der Ort für eine literaturtheoretische Debatte, nur soviel: Ich glaube, daß auch Sie davon beeinflußt waren.«
    Er hob den Glasdeckel und schöpfte für Jia Suppe in eine Schale, eine weitere Schale füllte er für sich selbst.
    »Während Sie im Hinterzimmer des Nachbarschaftskomitees eingesperrt waren, hat Ihre Mutter aus Sorge um Sie den Genossen Fan aufgesucht. In ihrer Verzweiflung sagte sie ihm, sie würde alles tun, um ihren Jungen zu retten. Genosse Fan verstand sofort, was gemeint war, lehnte aber ab und verwies sie an Tian, denn nur der hatte die Macht, eine Freilassung anzuordnen. Und sie folgte seinem Rat. Fan hat keinen Moment daran gezweifelt, daß Mei an jenem Nachmittag nur um Ihretwillen mit Tian zusammen war. Sie hat das alles für Sie getan.
    Vermutlich ist auch Ihnen dieser Gedanke gekommen, doch Sie konnten ihn nicht akzeptieren. Was Sie in jenem dunklen Raum durchhalten ließ, war das ungetrübte Bild im Garten – ›Mutter, laß uns dorthin gehen‹. Die Welt um Sie herum war zusammengebrochen, aber dieses Bild gehörte Ihnen, Ihnen allein.
    Doch nach Ihrer Rückkehr in die Dachkammer kehrte die Erinnerung an jene abstoßende Szene immer wieder zurück: Die makellose Göttin, die in den Armen ihres Verfolgers zur schamlosen Nutte verkommen war. In Ihren Augen war das ein unverzeihlicher Verrat, der Sie an den Rand des Wahnsinns brachte.
    Aber Sie irrten sich. Meine Ermittlungen haben ergeben, daß Tian als Arbeiterrebell alles unternommen hat, um im Konservatorium eingesetzt zu werden. Vermutlich hatte er sie, wie so viele andere, spielen sehen und war in Leidenschaft zu ihr entbrannt. Die Kulturrevolution bot ihm die Möglichkeit, diese Leidenschaft auszuleben. Er schloß sich den Propagandatrupps an, um in ihrer Nähe zu sein, doch sie entzog sich ihm nach Kräften. Wäre sie ihm früher erlegen, hätte es gar keiner gemeinsamen Ermittlungen mit dem Nachbarschaftskomitee bedurft. Erst als er Sie, ihren Jungen, in der Gewalt hatte, bekam er Macht über sie. Ihre Mutter liebte Sie mehr als alles auf der Welt. Mehr als sich selbst. Dennoch hat sie sich zuerst an Fan gewandt und nicht an Tian.
    Daraufhin dauerte es nur einige wenige Tage bis zu Ihrer unerwarteten Freilassung. Wenn etwas zwischen den beiden gewesen ist, dann nur in jener kurzen Zeitspanne – und allein um Ihretwillen. Wie furchtbar es für sie gewesen sein muß, sich Tian hinzugeben, kann man sich vorstellen.«
    »Aber sie hätte das nicht tun müssen. Mir wäre doch nichts …« Jia war außerstande, den Satz zu beenden.
    »Ihnen wäre nichts zugestoßen, meinen Sie? Das bezweifle ich. In jenen Jahren konnte man wegen solcher ›politischer Verbrechen‹ zum Tode verurteilt werden. Ich erinnere mich an einen alten Mann, der auf dem Volksplatz hingerichtet wurde, weil er einer Mao-Statue zu Transportzwecken einen Strick um den Hals gelegt

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