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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Holzinstrumente schlagend, vorüber und praktizierte den Eitelkeiten der profanen Welt zum Trotz ihren religiösen Dienst.
    Doch damit endeten seine Kindheitserinnerungen abrupt. Ein junger Mönch mit Goldrandbrille kam auf ihn zu, in der Hand ein Mobiltelefon. Er begrüßte Chen und musterte ihn erwartungsvoll durch lichtempfindliche Brillengläser.
    »Willkommen im Tempel, mein Herr. Spenden Sie, so viel Sie wollen, und machen Sie Ihren Namen damit unsterblich. Jede Spende wird im Computer registriert. Hier bitte, werfen Sie einen Blick auf die Spenderliste.«
    Chen sah eine eindrucksvolle Namensliste unter dem Bild einer gewaltigen goldenen Buddhastatue, die potentiellen Spendern auffordernd die Hand entgegenstreckte. Bei einem Spendenbetrag von tausend Yuan wurde der Name des Wohltäters in eine Marmortafel eingraviert; für hundert Yuan wurde man lediglich elektronisch registriert. Neben der Spenderliste führte eine offene Tür in ein Büro mit mehreren Computern, wo die Gaben für das Buddhabildnis ordnungsgemäß verwaltet wurden.
    Chen zog einen Hundert-Yuan-Schein hervor und warf ihn in die Sammelbüchse, ohne seinen Namen in das Spendenbuch einzutragen.
    »Hier ist meine Karte«, sagte der junge Mönch verbindlich. »Sie können künftig auch Schecks einreichen. Viele Menschen verbrennen in dem Räucherbecken dort drüben Räucherstäbchen. Es hilft tatsächlich.«
    Chen nahm die Visitenkarte entgegen und ging zu dem riesigen Bronzekessel in der Mitte des Innenhofes. Dort verbrannten die Leute Totengeld und Räucherwerk.
    Eine alte Frau kippte gleich eine ganze Tüte mit Totengeld in den Kessel, lauter kleine, aus Folie gefaltete Silberbarren. Er hatte keine Zeit gehabt, seines zu falten, deshalb warf er die Bogen mit der Silberfolie einfach so in das Räucherbecken. Nach und nach wurden sie von den feierlichen Flammen verzehrt, die Asche wurde von einem Luftzug nach oben gewirbelt, wo sie noch einmal knisternd aufglomm, bevor sie seinen Blicken entschwand.
    »Ein Zeichen«, murmelte die Alte mit ehrfurchtsvoller Stimme und brachte damit die gängigen Vorstellung zum Ausdruck, daß die Geister der Verstorbenen solche Zuwendungen in einem plötzlichen Windhauch an sich nehmen. »Jetzt brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen, daß sie im Winter nichts Warmes anzuziehen hat.«
    Wie konnte die alte Frau wissen, daß er das Geld einem weiblichen Totengeist geschickt hatte? Es war Hong zugedacht, die er immer in dem dünnen roten Seidenkleid vor sich sah.
    Chen glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod. Doch wie viele Chinesen zog er einen gewissen Trost aus der Befolgung dieser religiösen Praktiken. Vielleicht gab es ja doch Dinge, die sich menschlicher Erkenntnis entzogen. Von Konfuzius war der Ausspruch überliefert: Der Edle spricht nicht von Geistern . Der Weise war offenbar der Ansicht, es gäbe in dieser Welt genug zu tun und man sollte daher nicht über ein ungewisses Jenseits spekulieren. Chen jedoch fand, daß es nicht schaden könne, wenn man Kerzen und Räucherstäbchen ansteckte oder Totengeld verbrannte. Vielleicht konnte man auf diese Weise mit den Verstorbenen Kontakt aufnehmen.
    Er kaufte ein Bündel lange Räucherstäbchen und zündete sie wie die anderen Tempelbesucher an. Dann betete er, Buddha möge ihn bei seiner Suche nach dem Mörder leiten, auf daß Hong ihren Frieden fände.
    Damit nicht genug, legte er vor dem brennenden Räucherwerk auch noch ein Gelübde ab: Wenn er den Mörder fände, würde er sein Leben lang Polizeibeamter bleiben und persönliche Pläne und Ambitionen begraben, er wollte ein gewissenhafter Polizist sein, der mit seiner Arbeit zufrieden war.
    Anschließend begab er sich in den hinteren Teil des Tempels, wo er über eine Steintreppe in einen höher gelegenen Innenhof gelangte. An die weiße Marmorbalustrade gelehnt, versuchte er nachzudenken, den Blick auf die alten, geschwungenen Giebel gerichtet, hinter denen postmoderne Wolkenkratzer aufragten.
    Wieder sah er einen Mönch auf sich zukommen. Diesmal war er alt, hatte ein wettergegerbtes, zerfurchtes Gesicht und hielt eine lange Gebetskette aus schwarzen Holzperlen in der Hand. Seine Schritte auf den Steinstufen waren kaum zu vernehmen.
    »Bedrückt Sie etwas, mein Herr?«
    »Ja, Meister«, antwortete Chen und hoffte, hier nicht gleich wieder zur Kasse gebeten zu werden. »Ich bin ein gewöhnlicher Sterblicher aus der profanen Welt des roten Staubes und trage deshalb meine Sorgen mit mir herum, wie die

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