Blutbeichte
Terrasse.
»Du glaubst, du bist nicht mehr ihr Held, nicht wahr?«
»Wie meinst du das?« Joe blickte ihn an.
»Ich werde dir ein kleines Geheimnis anvertrauen«, sagte Old Nic. »Jeder Mann wäre in den Augen seiner Frau gerne der weiße Ritter in funkelnder Rüstung. Das Problem ist nur, dass es für die meisten Frauen etwas ganz anderes bedeutet, als wir Männer gerne glauben. Du versuchst immer noch, der wehrhafte Beschützer zu sein, der den Drachen erschlägt. Aber darum geht es gar nicht mehr. Du musst endlich überwinden, was damals in Irland geschehen ist, sonst kommt auch deine Familie nie darüber hinweg. Manchmal passieren nun mal schlimme Dinge, und man kann nichts tun, außer zu versuchen, damit fertig zu werden. Du kannst dabei zusehen, wie dieser Rawlins deine Beziehung zugrunde richtet und den letzten Nagel in den Sarg schlägt, oder du sagst: ›Du hast dich einmal meiner Familie genähert, du Hurensohn, und du hattest deine Chance, aber du hast sie vergeigt. Eine zweite Chance bekommst du nicht, und ich werde nicht mein Leben lang nach deiner Pfeife tanzen.‹ Willst du diesem Psychopathen die Macht geben, dein Leben zu zerstören? Lass das nicht zu, Joe. Du bist es Anna und Shaun schuldig.«
»So einfach ist das nicht«, sagte Joe.
»Doch, ist es. Ich erzähle dir mal was. Als Patti und ich geheiratet hatten, war ich für sie der große, starke Cop. Niemand hier im Viertel legte sich mit Victor Nicotero an. Wir spazierten zusammen durch die Straßen, und ich wusste, dass Patti stolz auf mich war und sich sicher fühlte. Das gefiel mir verdammt gut. Und dann, eines Tages, als es Patti nicht gut ging, habe ich die Arbeit über die Sorge um meine Frau gestellt undkam nicht rechtzeitig nach Hause, weil mir eine Ermittlung wichtiger war. Patti war im zweiten Monat schwanger und verlor das Baby. Danach dachte ich lange Zeit, Patti würde mich von nun an als Versager betrachten, weil ich sie im Stich gelassen hatte …« Old Nic zuckte die Schultern. »Und weißt du, was sie zu mir gesagt hat? ›Ein Held zu sein, hat mit Charakterstärke zu tun, mit Aufopferung, und manchmal reicht es auch, einfach nur zu schweigen. Wenn du versuchst, alles Böse in deiner Welt zu vernichten, wirst du nur wütend und enttäuscht sein, denn das schafft keiner. Und ich will keinen verbitterten, enttäuschten Mann.‹ Genau das hat sie zu mir gesagt. Und dann haben wir beide da weitergemacht, wo wir aufgehört hatten.«
»Patti ist eine besondere Frau.«
»Oh ja, das ist sie.« Old Nic blickte ihm in die Augen. »Sprich mit Anna. Sprich ganz offen mit ihr, ohne wütend zu werden. Sag ihr einfach, wie du dich fühlst.«
Joe lächelte. »Du wirst weich auf deine alten Tage.«
»Lass den Quatsch. Die meisten Leute bitten den Menschen um Rat, von dem sie wissen, dass er ihnen genau das sagt, was sie hören wollen. Du bist zu mir gekommen, weil du gewusst hast, dass ich dir sage, wie gut du und Anna zusammenpassen und dass du an der Beziehung festhalten sollst. Oder willst du vor mir hören: ›Es ist zu viel passiert, Joe, und es wird nie mehr so sein, wie es mal war?‹«
»Und wenn es so ist?«
»Ist es aber nicht, Joe. Ist es nicht. Trink dein Bier. Jetzt habe ich so viele Weisheiten von mir gegeben, dass ich ganz erschöpft bin.«
Stunden später stellte Joe vor dem Haus, in dem sie seit sechs Monaten wohnten, den Wagen ab. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, das Haus zu renovieren, und ihre finanziellen Möglichkeiten waren begrenzt. Danny hatte ihm bei derRenovierung zwar treu zur Seite gestanden, hatte aber immer wieder nur den Kopf geschüttelt und gesagt: »Ich bin froh, dass ich nicht in einer solchen Bruchbude wohnen muss.«
Da keine neuen Leitungen und Rohre verlegt worden waren und sie noch keinen Schreiner hinzugezogen hatten, machte das Haus noch immer einen unfertigen Eindruck. Zwar waren die Wände neu gestrichen, doch sämtliche Fußleisten waren zu kurz oder zu lang, viele Türrahmen waren nicht passgenau, die Fensterrahmen klemmten und einige Schränke ließen sich nicht richtig schließen.
Joe traf Anna in der Küche an. »He, du siehst toll aus«, sagte er und küsste sie auf den Mund. »Wie geht es dir?«
Anna war eine zierliche, zarte Frau mit heller Haut und grünen Augen. Mit einer Jeans und einem schwarzen Top bekleidet, stand sie barfuß vor ihm und lächelte ihn an. »Mir geht es gut … jetzt, wo ich Chloe angerufen habe.«
»Und, was war?«, fragte Joe hoffnungsvoll.
»Du
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