Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
Tagen, müsste man da nicht ...«, beendete Walter Dreyer die Frage nicht, sondern tippte sich nur an die Nase.
Dr. Renz brauchte nur einen kleinen Moment, bis er verstand: »Ah, sicher doch. Man riecht Leichen aber erst ab circa zehn Meter Nähe, und in dem Frachtraum ist es trocken und luftig. Die Lagerräume sind absichtlich nicht hermetisch abgeschlossen, damit die Futtermittel, Baustoffe und der ganze andere Kram nicht verderben. In dem Klima mumifizieren die Körper eher, als dass sie verwesen. Keine Fäulnis, kein Geruch.«
Seine Besucher sahen noch nicht zufrieden aus, sodass Dr. Renz das Bedürfnis spürte, ihnen Mut zu machen: »Seine Kleidung ist oben im Labor, auch ein Abstrich aus der Wunde, bestimmt finden die Kollegen dort noch mehr.«
»Und was ist mit ihm hier?« Walter Dreyer nahm an, dass der renommierte Doktor ihm schon Genaueres zur Liegezeit des Skeletts sagen konnte.
»Ritters Leute haben ihre berühmte Bodenprobe gemacht, sehen Sie?« Dr. Renz deutete auf eine lange gläserne Röhre. Deutlich waren verschiedene Bodenschichten zu erkennen, fast weißer Sand, Erde, Humus und sogar das Laub als oberste Schicht. »Sie haben die Proben so nah wie möglich am Skelett genommen. Dort wurde in letzten Jahren also nichts umgegraben oder irgendwie eingegraben. Der Tote liegt da seit mindestens drei Jahrzehnten, wahrscheinlich sogar länger. Bei vergrabenen Knochen setzt ein mineralischer Abbau ein, der einen Gewichtsverlust zur Folge hat, doch der wäre hier minimal. Ritter hat schon richtig geschätzt. Es könnte also der von Ihnen vermisste Mann sein.«
»Was ist mit seinen Zähnen?«, fragte Judith Brunner nach.
»Sein Gebiss ist gut, sogar schon fachmännisch behandelt. Das erhöht Ihre Chancen auf die Identifizierung. Na ja, den Zahnarzt zu finden, wird nicht ganz leicht. Ich kümmere mich aber heute Nachmittag darum. So viele Zahnärzte hat es hier in der Gegend und zu der Zeit sicherlich auch nicht gegeben.«
»Können Sie etwas zur Todesursache sagen?« Walter war skeptisch, schließlich war von der Leiche nicht mehr viel übrig.
Doch Dr. Renz überraschte ihn: »Hier, nehmen Sie mal die Lupe. Sehen Sie das da?« Er zeigte auf eine Rippe und machte noch mehr Licht. Walter strengte sich an, konnte aber nicht deuten, was er sah.
»Knochen haben eine glatte Oberfläche, Sie können das auch fühlen.«
Walter zögerte einen Moment – er hatte noch nie ein Skelett angefasst – und strich dann vorsichtig über den Knochen. Und dann spürte er es: eine deutliche Einkerbung.
Dr. Renz freute sich, dass seine Demonstration gelungen war. »Na, da stimmt doch was nicht, merken Sie es?«
Judith lächelte; für solche Darbietungen war Renz schon in seiner aktiven Zeit berühmt gewesen und hatte damit sowohl Sympathien gewonnen, als auch gegenteilige Reaktionen provoziert. Die einen freuten sich über die neue Erfahrung, die anderen fühlten sich vorgeführt.
Walter gehörte eindeutig zur ersten Gruppe. »Und, was bedeutet das?«, fragte er.
»Nun, es bedeutet, dass in diese Rippe ein scharfer, schmaler Gegenstand geschnitten hat. Nicht tief, aber genau so sieht es aus, wenn ein Messer an einer Rippe entlang geglitten ist. Glauben Sie mir, ich habe schon genug derartige Verletzungen gesehen.«
»Ein Messer! Wunderbar!« Judith freute sich wirklich über die Entdeckung, doch sah sie sich angesichts der verwunderten Blicke der Männer zu einer Erklärung genötigt: »Also wurde er ermordet. Mit einem Messer. Und drei Tote, die erstochen wurden – Heitmann, Ahlsens und Winter – sind kein Zufall. Wir werden einen Zusammenhang finden und haben dann endlich ein Motiv.«
»Es war aber nicht das im Frachtraum gefundene Messer, das habe ich schon überprüft. Die Kerbe an dieser Rippe hier ist viel breiter.« Dr. Renz tat es fast leid, Judiths Optimismus dämpfen zu müssen, doch er hielt es für seine Pflicht, darauf hinweisen, dass die Kerbe auch nach dem Tod des Mannes entstanden sein konnte. »Es gibt auch postmortale Verwundungen. Der Täter kann auf den Leichnam eingestochen haben oder die Kerbe entstand erst beim Vergraben, von einem Werkzeug, einem Bajonett möglicherweise.«
»Dann wäre die Kerbe aber noch breiter«, warf Judith Brunner wieder ein.
»Zugegeben. Ich neige ja auch zu Ihrer Interpretation, doch darauf hinweisen muss ich schon. Seine Oberbekleidung war komplett zersetzt. Da konnte ich keinen Schnitt, der von einem Messer oder Ähnlichem herstammen könnte, mehr erkennen. Ich
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