Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
einen anderen Ansatzpunkt. »Wann sind Sie eigentlich hier nach Waldau gekommen?« Insgeheim ärgerte sie sich, dass sie in der Meldestelle nicht auch die Karten der Winter-Schwestern hatte auswerten lassen.
»Wann wir hierher gekommen sind?«, fragte Emily vorsichtig. Beide wurden aufmerksamer. »Wie meinen Sie das?«, gab Anne Winter die Frage gleich zurück.
Geduldig erklärte Judith Brunner: »Na, Sie sind doch hier nicht geboren. Woher kommen Sie also? Wann hat es Sie hierher verschlagen?«
»Nun«, Anne sah ihre Schwester an, »wir sind nach dem Krieg hergekommen, stammen aus dem Osten, aus einem Weiler bei Rosenheide, hatten nichts mehr außer unserem Leben. Unsere Eltern haben wir im Jahr vorher, zu Beginn des Winters, verloren. Sie waren schon sehr betagt und haben sich die Flucht vor der Front nicht mehr zumuten wollen.«
Nicht auch noch das, dachte Walter, der Überfall war schon genug, jetzt noch ein Doppelselbstmord der Eltern?
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, versicherte Anne Winter rasch: »Sie haben sich nicht umgebracht, nein, nein. Sie beschlossen einfach, zu sterben. Es war bereits genug Leid geschehen, und mehr wollten sie nicht ertragen.«
»Und Sie haben aber Ihre Heimat verlassen?«, lenkte Judith zurück zum Thema. »Wann war das denn?«
»Wir sind immer vor der Front her, den ganzen Winter lang, und im Frühjahr waren wir dann in der Gegend hier.«
»Genauer können Sie das nicht mehr sagen?« Judith Brunner wurde ungeduldig. Sie schlichen wie die Katze um den heißen Brei.
»Na, Sie sind gut, das ist schon eine Weile her.«
»Sicher, stimmt schon, doch die Ankunft in einer neuen Heimat vergisst man doch nicht, oder?« Sie blieb hartnäckig.
»Na, ich denke, es wird so im Mai oder Juni gewesen sein, was meinst du, Emily?«
Die nickte. »Ja, das wird schon stimmen. Ich erinnere mich nicht mehr so genau. Ich war sehr schwach damals nach der langen Flucht.«
»Waren Sie krank?«, fragte Judith Brunner interessiert.
»Nein. Was soll die Frage? Ich war schwach, sagte ich doch. Wir hatten nach dem Winter eine monatelange Tortur hinter uns. Was glauben Sie, in welchem Zustand wir damals waren?«
»Erinnern Sie sich trotzdem an etwas? Gab es irgendwelche besonderen Vorfälle, als Sie in Waldau ankamen?«
»Nein, haben wir doch schon gesagt!« Emily Winter hatte es gründlich satt.
»Vielleicht erscheint etwas jetzt in einem anderen Licht, denken Sie bitte nach.« Judith sah Walter an. Die wollen nicht mit uns reden, bedeutete ihr Blick.
Walter veränderte seine Sitzposition und konnte ihr dabei unmerklich seine Zustimmung signalisieren.
Emily und Anne Winter blieben stumm.
Nun musste Judith Brunner deutlich werden: »Wir haben auch mit Johannes Meiring gesprochen. Er wohnt seit seiner Kindheit in Waldau. Er erinnert sich noch gut an Ihre Ankunft im Dorf«, Judith ließ eine kleine Pause und hoffte, dass ihre kleine Notlüge gelang, »und an Ihren unerwarteten Einzug in dieses Haus.«
Es kam etwas Leben in die beiden bisher nahezu unbeweglich dasitzenden Frauen. »Ach, hat er sich darüber gewundert? Davon hat er nie etwas gesagt!« Emily Winter lächelte triumphierend.
»Das ist auch nicht der Punkt, Frau Winter. Die Frage ist, wie kamen Sie zu diesem Haus?« Ob sie nun Heitmann erwähnen würden? Judith Brunner hoffte es. Die Winter-Schwestern waren besser auf das Gespräch vorbereitet als sie.
Und beide blieben unzugänglich. »Was hat das bitte mit Ihren Ermittlungen zu tun?«
»Nun, auf den ersten Blick nichts, das gebe ich zu. Doch Meiring hat uns berichtet, dass Laurenz Heitmann ihm versichert hat, er hätte Ihnen damals zu dieser Bleibe verholfen.«
Nun war endlich eine deutliche Reaktion, zumindest bei der Jüngeren, Anne, zu erkennen. Ihr Gesicht bekam rote Flecken, sie war erregt.
Einen Moment blieb es noch ruhig, doch dann wurde Emily Winter mitteilsam: »Ach, das meinen Sie. Ja, stimmt, der Heitmann hat uns damals gesagt, das Haus stehe schon seit Wochen leer. Die Besitzer waren vor den Russen über Nacht geflohen und nun wusste niemand, was aus dem Haus werden sollte. Und da wir Flüchtlinge waren, ohne Obdach und eigene Habe, war es damals eben möglich, dass wir in das Haus einzogen.«
Emily hatte das überzeugend vorgetragen und die Geschichte klang einleuchtend. Hier wähnte sie sich auf sicherem Terrain; sogar Anne trug nun etwas bei: »Es kamen manchmal auch noch andere Leute ins Haus, Flüchtlinge, wie wir. Oder Ausgebombte aus den Städten. Manche
Weitere Kostenlose Bücher