Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
»Wir haben einen Ast gefunden, der als Hebel benutzt worden sein könnte. Die Borke ist in der richtigen Höhe zerrieben, und ich denke, im Labor finden wir eine Bestätigung, dass der Ast als Werkzeug benutzt wurde. Am Kreuz und am Ast. Wir nehmen beides mit.«
Walter Dreyer fragte ungläubig: »Wie willst du es ins Auto hieven?«
»Lass das mal ruhig meine Sorge sein. Hydraulik kann da wahre Wunder tun.« Er deutete auf ein Gerät in seinem Wagen, an dem Judith nur Räder und Stangen sicher identifizieren konnte.
»Und lag irgendetwas rum?«, wollte Dreyer jetzt wissen. Hatten sie etwa mehr gesehen als er?
»Nur, was auch hier in den Wald gehört. Keine Brieftaschen, Ausweise, Fotos oder was du dir sonst noch wünschst. Aber am Kreuz selbst sieht es ganz interessant aus.«
»Wie meinst du das?«
Ritter zwinkerte ihnen zu. »Kommt mit, ich zeig’ es euch.«
Gespannt näherten sie sich dem hoch aufragenden Wurzelstock. Dreyer ging mit Ritter voran. Als Judith das Kreuz dann sah, kam es ihr klein vor. Doch es war von schöner Form und beeindruckte sie gerade durch seine Schlichtheit. Dann sah sie, was Thomas Ritter meinte: Der Fuß des Kreuzes war mit roten Ziegelsteinsplittern so abgestützt worden, dass es aufrecht und frei stehen konnte. Sorgsam waren die Stückchen genau passend ausgesucht und eingesetzt worden.
Dreyer kniete sich vor das Kreuz und meinte: »Das gibt’s doch nicht.«
»Das konntest du gestern nicht sehen. Es war viel Laub darüber. Wir haben es auch erst entdeckt, als wir den Fuß des Kreuzes freilegten.«
»Sehen Sie mal, Judith. Was halten Sie davon?«, fragte Dreyer, immer noch erstaunt, seine Kollegin.
Mit einem Ziegelstückchen war ein kleiner Buchstabe in den Fuß geritzt worden. Deutlich war ein rotes »E« erkennbar.
»Na, das ist dann doch kein Zufall mehr!«, bestätigte Judith, als sie es sah.
»Und sollen wir nun graben?«, wollte Ritter wissen.
»Ja«, sagten Judith und Walter zugleich.
Die Grabungsarbeiten würden eine geraume Zeit dauern, denn während die Kollegen sich nach unten arbeiteten, waren ständig Spuren – Laub- und Bodenschichten, eventuelle Hinterlassenschaften von Personen, die Dicke der Wurzeln – zu sichern. Mehr als zwei Leute konnten sowieso nicht gleichzeitig arbeiten, damit sie sich nicht gegenseitig behinderten.
Walter stand mit Thomas Ritter bei den Autos, während Judith sich abseits auf einen umgestürzten Baumstamm gesetzt hatte.
»Habt ihr eine Idee, was das bedeuten soll?«, fragte Ritter.
Walter war um eine Antwort nicht verlegen: »Haben wir. Seit dem Kriegsende wird hier ein Emil Winter vermisst, der bei den jetzigen Ermittlungen mehrfach eine Rolle spielte. Er war ein Jugendfreund von Laurenz Heitmann, du weißt doch, dem Ermordeten vom Bahnhof. Ich gehe fest davon aus, dass das Kreuz etwas mit ihm zu tun hat.«
»Na, dann werden wir uns alle über mangelnde Arbeit nicht beklagen können.«
Walter fiel noch eine weitere Möglichkeit ein. »Ein Mann aus dem Dorf wird auch noch vermisst. Seit über zehn Jahren. Er soll angeblich seiner Frau weggelaufen sein. Vielleicht ist er das?«
»Aber das eingeritzte E, passt das auch?«
»Hm, keine Ahnung, auf Müller trifft es nicht zu, und wie der Mann mit Vornamen hieß, ist mir entfallen. Hast du schon eine Vermutung, wann das gemacht worden ist?« Walter nickte in Richtung auf die Blutbuchen.
»Ist noch nicht lange her. Vielleicht zwei, drei Wochen. Das ist alles altes Laub vom letzten Frühjahr. Buchen werfen ihr Laub erst nach dem Winter ab. Siehst du?« Ritter deutete nach oben. »Die Blätter bleiben im Herbst noch dran. Wenn im Frühling die neuen Knospen kommen, drücken sie die alten Blätter weg. Die Schleifspur zieht sich im Wesentlichen durch altes Buchenlaub. Es ist nur äußerst wenig Laub von anderen Laubbäumen rings umher darüber gefallen, obwohl wir Herbst haben. Also gibt es nur einen Schluss: Die Spur ist frisch! Die Ziegelstücke stammen sicher aus dem Vorwerk. Ein Kollege versucht schon, die Stelle zu finden, wo sie herausgebrochen wurden. Auf den Ziegelsteinstücken haben sich kaum sichtbare Moose angesiedelt, unsere Fachleute werden aus den Sporen noch erkennen, wie lange die schon auf den Steinen sind. Es war auch kaum Biomaterial in den Steinritzen. Wenn das Kreuz hier schon länger so stehen würde, hätten wir mehr von allem finden müssen. Ah, sie winken. Offenbar haben meine Leute etwas gefunden. Komm.«
»Judith, kommen Sie, die haben was!«, rief
Weitere Kostenlose Bücher