Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
hatte Judith Brunner das Ganze noch gar nicht gesehen! Ging es womöglich gar nicht um Heitmann, sondern um die Familie Ahlsens? Wollte hier jemand ihr Ende? Doch warum dann Heitmann? Sollte sein Mord nur Ablenkung sein? Eine Verwechslung? Immerhin saß er im Wagen der Ahlsens. Dann müsste der Mörder ein Fremder sein, der weder seine Opfer noch deren Umfeld kannte. Handelte es sich um einen Mordauftrag, der beim ersten Versuch schiefgegangen war? Doch was ist dann mit dem Skelett aus dem Wald? Sie stellte den Gedanken erst mal zurück. »Wo finde ich denn Gläser?«
»Im großen Schrank, oben rechts. Wasser ist im Kühlschrank«, half Astrid ihr.
»Die anderen möchten sicher auch etwas.« Judith hatte ein Tablett auf den Tisch gestellt, dazu Gläser und zwei Flaschen Mineralwasser. »Halten Sie mir bitte die Tür auf?«
Sie gingen wieder in den Wintergarten und hörten die Männer die Treppe herunterkommen. Gespannt blickten die Frauen ihnen entgegen.
Judith übernahm das Eingießen des Wassers und fragte gleichzeitig: »Konnten Sie etwas finden?«
Dreyer schüttelte den Kopf. »Auf den ersten Blick war nichts zu sehen, was uns helfen könnte. Ich habe ein paar persönliche Unterlagen mitnehmen dürfen, die wir in meinem Büro durchsehen können. Sein Bruder hatte offenbar kaum Gepäck dabei, wie mir Herr Ahlsens versicherte, wollte also nicht lange verreisen.«
Astrid stürzte ihr Glas Wasser in einem Zug hinunter und reichte es Judith zum nachschenken. »Vielleicht findet sich hier im Büro noch etwas?«, bot Astrid an, die Suche auszuweiten. »Sie müssen doch etwas finden, was helfen kann!«
»Die Mühe können Sie sich eigentlich schenken. Da habe ich neulich schon nachgesehen, als Sie mich baten, einen Hinweis auf Pauls Aufenthaltsort zu finden«, warf Botho Ahlsens resigniert ein, »aber sehen Sie ruhig noch einmal nach.«
Diesmal erhob sich Judith und Astrid sagte: »Hinter der Treppe die erste Tür. Onkel Paul sitzt immer links.«
Das Büro des Gutes war ausschließlich nach zweckmäßigen Gesichtspunkten eingerichtet. Die Möbel stammten aus einer Zeit, die lange zurücklag. Zwei Schreibtische, von denen der rechte zum Ensemble des beeindruckenden, dreitürigen Bücherschranks und einer kleineren Kommode gehörte, waren um die Jahrhundertwende herum als Einzelstücke gefertigt worden. Das Aktenregal könnte aus derselben Tischlerei stammen, zumindest hatte sein Holz den gleichen schönen, warmen Ton. Judith gefielen besonders die Schränkchen mit den praktischen Rolltüren. Sie sorgten dafür, dass das Büro trotzt der sich sicher darin befindlichen Aktenordner sehr aufgeräumt wirkte.
Im Kalender, der auf dem linken Schreibtisch lag, waren keine auffälligen Eintragungen zu erkennen. Judith sah sich die Tage der letzten Woche genau an. Donnerstag und Freitag waren mit einer dicken Linie durchgestrichen, keine Termine eingetragen. Wenn Paul Ahlsens das so gekennzeichnet hatte, war klar, dass er die kompletten Tage für sein Vorhaben verplant hatte. Verdammt, es musste sich doch ein Hinweis finden lassen! Judith Brunner setzte sich an den Schreibtisch und sah die Schubladen durch. In einer Mappe fand sie einen Schreibblock, auf dem eine Telefonnummer stand, die zu einem Anschluss hier in der Gegend gehören könnte. Sie nahm den Block und den Kalender mit.
Als Judith Brunner wieder zu den anderen ging, berichtete Botho Ahlsens gerade, wie sein Bruder und er das Gut erneut in Gang gebracht hatten, nachdem der Krieg vorbei war. »Es gab kaum noch Männer hier. Selbst die jungen hatte man zuletzt geholt. Nun waren sie irgendwo in der Welt verstreut, gefangen oder sogar tot. Und die Frauen hatten zu tun, ihre Familien ohne Männer über Wasser zu halten. Und nicht nur die, es kamen jeden Tag Menschen durch das Dorf, die alles verloren hatten. Die suchten eine Bleibe und etwas zu essen. Nicht jede der Frauen war froh, überlebt zu haben, verstehen Sie? Zu vieles war passiert.«
Judith hatte sich leise dazugesetzt und interessiert zugehört.
Nach einer kurzen Pause, die auf Ahlsens’ Schilderung folgte, fragte Walter: »Haben Sie etwas gefunden, das uns hilft?«
»Wenig, hier ist sein Kalender – keine Einträge für die bewussten Tage – und hier ein Schreibblock.«
Dreyer erkannte die Nummer gleich. »Das ist die Nummer der Bibliothek in Gardelegen. Er hatte seinen Besuch doch angekündigt. Sie erinnern sich, Peter Kreuzer sprach davon.«
Judith nickte und stand langsam auf. »Wir müssen
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