Blutengel: Thriller
Teller mit Fischgerichten vor sich auf die Stehtische gestellt, andere begnügten sich mit Wein, der in tönernen Kühlern an fast jedem Platz stand.
Direkt daneben saß auf einer fleckigen Wolldecke ein Obdachloser, der zwei schlafende Welpen im Arm hielt und stumm auf das vor ihm stehende leere Marmeladenglas starrte.
Kurz vor dem Hotel Maritim bog Kaja in einen unscheinbaren Seitenweg ein.
Die Kirche lag etwas versteckt und war in einem Stil gehalten, der Ende der 1960er Jahren als modern galt. Steil aufragender Kirchturm, farbige Glasbausteine und Eichentür.
Sie steuerte auf das kleine Gemeindehaus direkt neben der Kirche zu.
Da Kaja keine Klingel finden konnte, klopfte sie mit der Faust gegen die Tür. Keine Reaktion. Auch ein Schild mit Öffnungszeiten konnte sie nicht entdecken.
»Unser Büro ist am Dienstag geschlossen«, sagte eine Stimme hinter ihr. Eine Frau in einer Kittelschürze stand in der Haustür eines Einfamilienhauses.
»Ich habe da eine dringende Frage, es dauert auch nicht lange.«
»Der Priester ist auf dem Festland, da kann ich Ihnen wohl nicht helfen.«
»Es geht nur um einen Blick in Ihre Kirchenunterlagen. Ich bin von der Polizei, und es ist wirklich wichtig.«
»Polizei?«, fragte die Frau skeptisch und zog dann doch den Schlüssel aus ihrer Tasche.
Als sie die Tür zum Kirchenbüro aufgesperrt hatte, drehte sie sich kurz um.
»Ich habe nicht viel Zeit.«
Kaja nickte und sah sich um.
In dem kleinen Raum standen um einen hellblauen Tisch drei Stühle, dahinter ein Tresen. Die Frau zog einen weiteren Schlüssel aus einer Schreibtischschublade und öffnete damit ein Rollgitter, das vor einem Aktenschrank heruntergezogen war.
»Wie ist der Name?«
»Kaja Winterstein.«
Die Frau machte Anstalten, einen Aktenordner zu suchen.
»Entschuldigung, das ist mein Name. Ich hätte gern Informationen zu Hans Peter Schwan und seinem Sohn Thomas.«
Das Lächeln im Gesicht der Frau gefror.
»Ihr ehemaliger Seelsorger.«
»Dazu bin ich nicht befugt«, sagte die Frau und machte Anstalten, das Rollgitter wieder vor die Akten zu ziehen.
»Es geht um seinen Sohn, um Thomas Schwan.«
»Sie fragen nach dem Sohn unseres Priesters?«
»Ich weiß, es ist ein wenig heikel, aber …«
»Da kann ich Ihnen nicht helfen«, sagte die Frau. Kaja sah, dass ihre Augen feucht wurden.
Eine Minute später standen sie vor der Tür.
»Das ist doch schon lange her, und wir brauchen diese Information für eine Mordermittlung«, sagte Kaja.
»Eine Mordermittlung?«
»Wir müssten dringend mit dem Sohn von Hans Peter Schwan sprechen.«
»Sie sind schwanger, nicht?«, sagte die Frau und deutete auf Kajas Bauch.
»Woher wissen Sie …«
»Ich kann das sehen«, sagte die Frau und drehte sich um.
Im Weggehen wiederholte sie, dass sie nicht helfen könne, und dann verschwand sie in dem Einfamilienhaus direkt neben der Pfarrei.
Katja ertappte sich bei dem Gedanken, dass Weitz jetzt hilfreich gewesen wäre. Unsinn, sie musste anders an die Informationen gelangen.
Sie ging in Richtung Strand, löste ein Kurtaxenticket und stieg eine hölzerne Treppe hinab. An der Brüstung war ein Schild mit der Aufschrift »Himmelsleiter« befestigt.
Das Meer hatte sich zurückgezogen, die Schlickflächen funkelten in der Sonne. Sie zog ihre Schuhe aus und spazierte zur Sylter Promenade.
Vielleicht sollte sie im Westerländer Rathaus fragen, ob der Pfarrer Schwan dort als Vater eingetragen war und Informationen zum Verbleib seines Sohnes Thomas vorlagen. Und was war mit seiner Lebensgefährtin? Hatte man auch sie von der Insel verbannt? Aber warum? Dies hier war protestantisches Gebiet und kein niederbayerisches Dorf, in dem man Andersgläubige schief ansah.
Jemand zupfte an ihrem Rock. Ruckartig fuhr sie herum. Es war ein kleiner Junge. Stumm und ernst sah er sie an und reichte ihr einen Zettel.
*
Weitz sah sich um. Das Treppenhaus war nicht verändert worden, seitdem die ehemaligen Firmenbesitzer vor vielleicht 50 Jahren ihre letzten Kartons und Maschinen heruntergetragen hatten. Selbst der graue Anstrich war nie erneuert worden und wurde jetzt in großen Placken vom Mauerwerk abgestoßen.
In der zweiten Etage hatte jemand, ganz bestimmt im Vollrausch, die Flurwände mit mystischen Wesen bedeckt, die aus einer anderen Welt zu kommen schienen und ihn anglotzten. Weitz blieb stehen und betrachtete kopfschüttelnd Mammutbäume und seltsame Insekten, die durch die Luft wirbelten. Hier war er richtig. Die
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