Blutfrost: Thriller (German Edition)
zumindest erzählte sie mir das –, doch jetzt war sie wirklich berufsunfähig, litt an diversen Allergien, ständiger Migräne und einer geheimnisvollen Krankheit, die niemand kannte, die aber bewirkte, dass ihre Muskeln ständig schmerzten. Jedenfalls behauptete sie das selbst immer. Zum Glück hatten wir eine Krankenversicherung. Die stammte bestimmt noch aus der Zeit, in der mein Vater richtig gut verdient hatte, und diese Versicherung galt auch für mich. Ohne diesen Rettungspfeiler wäre das Leben meiner Mutter inhaltslos und leer gewesen. Schließlich war mein Vater seit Jahren »hirntot« und konnte nicht als Inhalt gezählt werden. Und doch muss es Zeiten gegeben haben, in denen die beiden sich sehr geliebt hatten. »Damals, als dein Vater noch Geld hatte und ein hübscher Kerl war«, sagte meine Mutter oft mit einem Seufzen, das gespenstisch durch alle Winkel des Hauses schlich, die Temperaturen sinken und das Licht blau werden ließ. Sie hatte meinen Vater, einen durchtrainierten Börsenmakler, an der Bar eines Hotels in Odense getroffen, wo sie und ihre Freundin sich mit dem expliziten Ziel aufgehalten hatten, einen »gutaussehenden, reichen, großen Ausländer mit dunklem Teint«abzuschleppen. Sie war damals siebzehn Jahre alt gewesen. Und dann war sie mit mir schwanger geworden.
Letztlich aber waren nach ein paar Jahren Luxusleben auf Staten Island die Investitionen meines Vaters vollkommen in die Hose gegangen. Insbesondere seine privaten. Er hatte alles verloren, und die Aussichtslosigkeit hatte ihn in die Alkoholabhängigkeit getrieben. In dem dunklen Haus in Rexville trank er aus ökonomischen Gründen fast nur noch klaren Schnaps (und Coors, wenn ein Nachbar vorbeikam oder meine Mutter ein seltenes Mal der Meinung war, er habe sich einen verdient). Er verbrachte seine Zeit damit, zu schlafen oder von irgendwelchen Stühlen zu kippen. Was mich anging, so hatte ich ja ständig Fieber, hohes Fieber. Und Kopfschmerzen, schreckliche Kopfschmerzen. Und Bauchweh. Von Geburt an, sagte meine Mutter zu mir, hätte ich Fieber, Kopfschmerzen und Bauchweh gehabt und das zu allen möglichen und unmöglichen Zeitpunkten.
»Mein kleiner Schatz, du verbrennst ja förmlich«, sagte sie einmal voller Entsetzen, als sie die Hand auf meine Stirn legte. Das war an Weihnachten, ich war damals gerade fünf geworden. Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen. Wir hatten Reisbrei mit Jell-O bekommen, und mein Vater war … War er wirklich weg gewesen?
»Ich glaube, ich rufe den Arzt an.« Meine Mutter zog auf der Jagd nach einer sichtbaren Krankheit meine Augenlider hoch.
Wie es sich anfühle, wenn man Fieber habe, wollte ich von meiner Mutter wissen, denn ich vergaß das immer wieder. »Was soll ich dem Arzt denn sagen? Bin ich krank?«
»Du sagst, dass du drinnen in dir fast verbrennst. Klar bist du krank!«
Ich bekam Angst, und in meinem Bauch bildete sich ein dicker Knoten.
»Mama, mein Bauch tut weh, es sticht so.«
»So ein stechendes Gefühl im Bauch?«, fragte sie mit weit geöffneten Augen, während Zeige- und Mittelfinger in die Luft zeigten. Ich hielt mir mit beiden Händen den Bauch und begann zu weinen. Sie schob mir ein Kissen in den Rücken, während ich nickte und durch Rotz und Tränen antwortete:
»Ja, es sticht und tut weh!«
»Das musst du auch dem Arzt erzählen!«
Sie begann hektisch herumzurennen und Kleider in den kleinen Plastikkoffer zu werfen, den sie im Katalog bestellt hatte – wie alles andere auch. »Ich fahre dich gleich zu Dr. Erics. Und du erzählst ihm von deinen Magenschmerzen. Und dass du das Gefühl hast, zu verbrennen. Er weist dich dann bestimmt ins Krankenhaus ein.«
In diesem Moment tauchte mein Vater taumelnd in der Tür auf. Er stützte sich am Türrahmen ab und schien alles im Raum gleichzeitig fixieren zu wollen. »Was ist denn hier los? Was ist denn mit meinem Mädchen?«, lallte er.
»Fuck you! Du wertloses Stück Scheiße!«, schrie meine Mutter. Entweder beachtete sie ihn überhaupt nicht, oder sie pflegte, während sie in ihren Katalogen blätterte, zu sagen, dass sie schon noch einen reichen Mann finden würde, wenn die Zeit dafür reif sei.
»Irgendein Fremder hat deiner Tochter Süßigkeiten gegeben, und jetzt ist sie todkrank«, schrie sie.
»Verdammt!«, murmelte mein Vater und verschwand taumelnd wieder in der Dunkelheit. »Sie darf doch nichts von Fremden annehmen.«
Ich blinzelte verwirrt und verstand nichts, aber wenn meine Mutter erzählte, dass
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