Blutgold
Ihrer Stelle nicht zu viel davon versprechen«, sagte
Hendry. »Ein Haufen Zahlen. Speditionsaufträge. Ertragsberichte. Nichts, womit
man etwas anfangen könnte.«
Ich öffnete den Umschlag und entnahm ihm ein Bündel Dokumente. Hendry
hatte recht. Auf den Seiten waren prozentuelle Ertragswerte über mehrere Monate
hinweg aufgelistet, und am Kopf jeder Spalte standen Abkürzungen: Ag, Au, Cu,
Fe. Auf dem nächsten Blatt waren die Speditionsaufträge des vergangenen Jahres
aufgeführt. Der Name auf der Rechnung lautete VM Haulage.
Gerade als ich die Papiere zurück in den Umschlag steckte, klingelte
mein Telefon. Die Telefonnummer im Display hatte eine Vorwahl aus dem Norden.
Als ich das Gespräch annahm, fragte mich eine Männerstimme barsch: »Wer sind
Sie?«
»Sie haben mich angerufen«, sagte ich. »Wer sind Sie ?«
»Heißen Sie Devlin?«, wollte der Mann wissen.
»Wer zum Teufel sind Sie?«
»Ich bin Sergeant Burke. Ich bin beim PSNI in Omagh. Wir haben eine junge Frau wegen Straßenprostitution festgenommen. Sie
hatte Ihre Telefonnummer.«
»Wer ist sie?«
»Das wissen wir nicht. Sie kann offenbar kein Englisch. Sie hat uns
eine Visitenkarte mit Ihrer Telefonnummer gegeben, damit wir Sie anrufen.«
»Ich bin unterwegs«, sagte ich und drehte den Zündschlüssel.
Hendry willigte ein, sich für mich mit Burke in Verbindung zu setzen,
während ich nach Omagh fuhr. Ich hatte die Siedlung schon hinter mir gelassen
und fuhr auf die Landstraße, da fiel mir auf, dass ich ganz vergessen hatte,
Jim den Eligius-Umschlag zurückzugeben.
Während ich die Omagh Road entlangfuhr, wurde der Himmel grau und
drohte mit Regen. Ich fand die PSNI -Wache
nicht auf Anhieb, und dann musste ich weitere zehn Minuten warten, bis Burke
kam. Nun fiel mir auch ein, dass ich seit dem Frühstück nichts gegessen hatte,
und sogleich knurrte mein Magen.
Burke war ein junger Sergeant, was möglicherweise seine großspurige Art
am Telefon erklärte. Er hatte lange Haare, und ein Dreitagebart bedeckte sein
Kinn. Unentwegt fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und warf sie beim
Sprechen mit ruckartigen Kopfbewegungen nach hinten. Während er mich zu der
Zelle führte, in der man Natalia festhielt, erklärte er, wie es zu ihrer
Verhaftung gekommen war.
Sie hatten einen Tipp erhalten. Ein hiesiger Geistlicher hatte von
einem seiner Gemeindeglieder erfahren, dass ausländische Mädchen sich in einem
der unfreundlicheren Stadtviertel an den Straßenecken prostituierten. Autos
hielten an, nahmen sie mit und setzten sie eine Viertelstunde später wieder ab.
Man musste kein Sherlock Holmes sein, um darauf zu kommen, was da vor sich ging.
Burke und drei weitere Polizisten in Zivil hatten die Straße überwacht.
Drei Mädchen hatten gerade gearbeitet. Zwei hatten die Männer kommen sehen, sie
auch in Zivil sofort als Polizisten erkannt und die Beine in die Hand genommen.
Nur Natalia war festgenommen worden.
»Sie hat nicht mal versucht wegzulaufen«,
schnaubte Burke.
»Vielleicht wollte sie geschnappt werden«, schlug ich vor.
»Häh?« Skeptisch sah er mich an, eine Augenbraue erhoben, die Lippen
leicht verzogen. »Und warum sollte sie das wollen?«
Er stieß die Tür zum Vernehmungsraum auf. Natalia sah beträchtlich
älter aus als bei unserer letzten Begegnung. Sie trug ein enges weißes T-Shirt
und einen ausgefransten Jeansrock, der ihr kaum bis über den Schritt reichte.
Ihre Arme waren mit Blutergüssen übersät, und die Haare hingen ihr zottelig ins
Gesicht. Eine Prellung, die sich bereits gelb verfärbt hatte, umschattete ihr
linkes Auge. Einen Arm hatte sie um den Brustkorb geschlungen.
»Gütiger Himmel«, sagte ich.
Sie sah hoch, der Blick hart, das Kinn vorgereckt. Als sie mich
erkannte, wurde ihr Blick für einen kurzen Moment weicher und ihr Mund zuckte,
als wollte sie lächeln. Aber sogleich gefror ihre Miene wieder, als fiele ihr
jetzt ein, dass ich derjenige war, der für ihr Schicksal verantwortlich war,
und sie wandte den Kopf ab.
Ich trat zu ihr, ging vor ihrem Stuhl in die Knie und legte ihr die
Hände auf die Schultern, doch sie schüttelte sie ab. Ich neigte den Kopf, um
ihren Blick aufzufangen, aber sie wich mir aus.
»Es tut mir so leid«, sagte ich. »Himmel, es tut mir so leid.«
Schließlich sah sie mich doch an. In ihrem Inneren schien etwas
aufzubrechen. Plötzlich zuckte ihre Nase, und ihre Augen füllten sich mit
Tränen. Sie stotterte etwas auf Tschetschenisch und schlug mit den Fäusten
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