Blutgold
bediente einen Gast. Die nächste halbe Stunde
über mied er meine Ecke der Theke und sah mich erst wieder an, als ich
aufstand, um zu gehen. Ich legte zwei Pfund auf die Theke.
»Für das Getränk«, sagte ich.
Auf
der Heimfahrt dachte ich über das nach, was er gesagt hatte. Wenn Hagan etwas
gespendet hätte, würde VM dem Unternehmen keine Rechnung gestellt haben, sie
hätten den Transport gratis übernommen. Doch wie bei allen geübten Lügnern war
vermutlich ein Quäntchen Wahres an Currans Geschichte. Ich hielt es durchaus
für plausibel, dass er Hagan bei einem »Besuch für Frieden und Versöhnung« in
Tschetschenien kennengelernt hatte. Und ich hegte kaum Zweifel daran, dass VM
Haulage oder jemand, der für sie arbeitete, etwas für Eligius nach
Tschetschenien lieferte und auf dem Rückweg illegale Einwanderer mitbrachte.
Ein Hilfsgütertransport wäre der letzte Ort, an dem man nach Illegalen suchen
würde. Zudem würde der Lastwagen damit über die nötigen Papiere für eine solche
Auslandstour verfügen.
Egal, was
sie für Hagan transportierten, es war eindeutig illegal – warum sonst die
Geheimnistuerei? Warum der Überfall auf den Strabaner Postboten, es sei denn,
man dachte, die Dokumente, die er beförderte, seien potenziell schädlich? Nun
musste ich nur noch herausfinden, für wen sie schädlich waren und in welcher
Hinsicht. Und dann dafür sorgen, dass der Schaden auch eintrat.
23
Montag, 23. Oktober
Am
Vorabend war Natalia mir auffällig nervös erschienen, und selbst Penny und
Shane hatten ihr nicht mehr als ein sehr flüchtiges Lächeln entlocken können,
als sie ausgelassen zu einer Fernsehmelodie getanzt hatten. Ich vermutete, sie
wusste, dass sie gegen Strandmann würde aussagen müssen und dass dies wiederum
zu Fragen nach ihrem Status und der Arbeit, der sie nachgegangen war, führen
würde. Falls man Strandmann etwas Erhebliches zur Last legen konnte – sagen wir
Menschenschmuggel –, dann bliebe Natalia das Trauma dieser Zeugenaussage
erspart.
An diesem
Montag fand ich mich zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder ganz legitim auf
der Wache ein. Mehrere Kollegen kamen zu mir und begrüßten mich. Doch ich
merkte auch, dass einige der jüngeren Polizisten nicht allzu freundlich
erscheinen wollten, um sich nicht ihre Beförderungschancen zu verderben. Sogar
Helen Gorman war zurückhaltend.
Ich rief in Letterkenny an und ließ mir den Techniker geben, der Leons
Kamera hatte untersuchen sollen. Ich wurde mit jemandem namens Marty verbunden,
einem zivilen IT -Fachmann, der mir zunächst
minutenlang die Verfahren erklärte, mit denen er Fotos aus der Kamera zu retten
versucht hatte. Ich bemühte mich, angemessen beeindruckt zu klingen.
Irgendwann unterbrach ich ihn: »Und? Haben Sie Fotos gefunden?«
»Einen ganzen Haufen«, sagte er. »Er hatte eine Speicherkarte, und auf
dem internen Speicher waren auch Bilder. Er hat hier über hundert. Nach welchen
suchen Sie denn?«
»Hat auf irgendeinem jemand eine Waffe im Anschlag?«, fragte ich, halb
im Scherz.
»Nein, aber hier ist richtig schmutziges Zeug dabei. Müssen Fotos von
seiner Alten sein. Sehr kunstvoll.«
»Waren das die zuletzt aufgenommenen Fotos?«, fragte ich. Die fragliche
Frau war sicher Janet Moore. Wenn die zuletzt aufgenommenen Fotos von ihr
waren, dann hatte er die Kamera am Abend seines Todes nicht benutzt.
»Nein, die letzten Fotos sind von irgendeinem älteren Burschen, der im
Wald arbeitet.«
»Was für eine Arbeit?«
»Er trägt irgendwelches Zeug hin und her«, sagte er rasch. »Hören Sie,
soll ich sie Ihnen nicht einfach schicken? Dann können Sie sich die Dinger in
aller Ruhe ansehen.«
»Können Sie sie mir mailen?«
»Dafür sind es zu viele«, sagte er. »Ich speichere sie im Netzwerk
unter ›Gemeinsame Dokumente‹ ab, da können Sie sich den Ordner dann
herunterladen.«
Wenige
Minuten später sandte Marty mir eine E-Mail mit Angaben zu dem Ordner, in dem
er die Bilder gespeichert hatte. Seine Nachricht schloss mit einem gelben
Smiley.
Ich öffnete
die Dateien im Ordner und sah sie mir an. Die meisten Fotos waren für mich
nicht von Interesse. Leon und seine Freunde. Der alte graue Hund, den ich
draußen am Carrowcreel bei den Aussteigern gesehen hatte. Bilder von Bäumen, in
kunstvollen Perspektiven aufgenommen. Dann öffnete ich ein Bild von Leon und
Fearghal. Die beiden standen nebeneinander, Leon ein wenig gebeugt, aber
dennoch mehrere Zentimeter größer als sein Bruder. Er hatte Fearghal
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