Blutgrab
unterbrochen.
»Spurensicherung schon fertig?«
»Fertig nicht, aber die Kollegen nehmen sich gerade das Gebäude, in dem eingebrochen wurde, vor.«
»Ist doch prima.«
Ulbricht ließ sich von Heinrichs über den »Trampelpfad« zu dem Toten führen. Diese Pfade nutzten alle Anwesenden bei der Tatortarbeit, um nicht unnötig viele Spuren zu hinterlassen. Ulbricht ging neben dem Toten in die Hocke.
Heinrichs trat neben ihn und rasselte emotionslos die Fakten herunter. »Hans Halbach, 76 Jahre alt, wohnhaft in der Straße In der Krim, das liegt gleich hier um die Ecke. So wie es aussieht, war er nach einem Saufgelage auf dem Heimweg, als es ihn traf.«
»Heinrichs - verkneifen Sie sich solche Ausdrücke!« Ulbricht blickte vorwurfsvoll zu seinem Assistenten auf. »Oder trinken Sie niemals einen über den Durst?«
Prompt murmelte »Brille« Heinrichs eine Entschuldigung. Verlegen nahm er seine Brille ab und wischte die Glaser mit einem geblümten Stofftaschentuch trocken. Seine kleinen, aber hervorquellenden Augen erinnerten Ulbricht an das Gesicht eines Maulwurfes.
Er widmete sich dem Toten. Die trotz des Alters noch dichten grauen Haare standen wirr vom Schädel des Leichnams ab. Seine Haut war aschfahl, Altersflecken überzogen die runzelige Gesichtshaut des alten Mannes. Eine Handbreit unter dem Herzen erblickte Ulbricht die Einschusswunde. Blut war ausgetreten und hatte die Kleidung in Mitleidenschaft gezogen. Der Tote trug eine graue Stoffhose; die schwarzen Schuhe glänzten im Licht der aufgestellten Scheinwerfer. Ein braunes Hemd, eine dunkelbraune Weste und ein dunkelgrauer Anorak, dessen gefütterter Stoff längst durchnässt war.
Altere Herren kleiden sich eben etwas dezenter, dachte Ulbricht und ging in Gedanken den Inhalt seines eigenen Kleiderschranks durch.
»Er hatte übrigens Krebs im Endstadium.« Heinrichs hatte die Brille wieder auf der Nase und wippte mit den Füßen.
»Woher wissen wir das? Hat der Amtsarzt das bei der Leichenschau diagnostiziert?«
»Brille« Heinrichs schüttelte den Kopf. »Leberkrebs«, bemerkte er und hielt einen durchsichtigen Asservatenbeutel in die Höhe. Darin befand sich eine braune Brieftasche aus brüchigem Leder. »Das sind die Papiere des Toten. Darunter haben wir auch den Bericht des Arztes gefunden, der die Diagnose enthält. Datiert auf heute…« Er blickte auf die Armbanduhr, »auf gestern«, korrigierte er sich dann schnell.
»Ein schneller Tod für diese scheiß Krankheit.« Ulbricht stemmte sich in die Höhe. Er schaute sich um und erblickte ein altes Gebäude, dessen Hintertüre offen stand. Der Rasen davor war ebenfalls mit Scheinwerfern ausgeleuchtet. Durch die Fenster sah Ulbricht Männer in weißen Einmalanzügen. »Was ist das für ein alter Kasten?«
»Das alte Amtsgericht von Ronsdorf. Seit 1932 fand da kein Prozess mehr statt, im Krieg hatten dort die Nazis ihr Revier. Deshalb nennen es die alten Ronsdorfer nur ,das braune Haus'.«
»Sie scheinen sich auszukeimen«, stellte Ulbricht fest und rang sich ein anerkennendes Grinsen ab.
Heinrichs zuckte die Schultern. »Meine Familie kommt aus Ronsdorf. Damals hat mein Opa mir immer Gruselgeschichten erzählt. Er wollte mich da drin einsperren, wenn ich nicht aufhöre, Unfug zu machen.«
»Hätte er mal besser. Und was ist da jetzt untergebracht? Sieht ziemlich heruntergekommen aus, der Bau.«
»Gehört der Stadt, und die ist bekanntlich pleite. Trotzdem ist das alte Gericht denkmalgeschützt, was eine Instandhaltung zusätzlich erschwert.«
»Heinrichs…«, drängte Ulbricht. »Lassen Sie sich nicht jeden Popel einzeln aus der Nase ziehen!«
»Brille« Heinrichs räusperte sich. »Oben ist das Seniorenhilfswerk untergebracht, es gibt einen Versammlungsraum, in dem sich das Rote Kreuz trifft, und unten gibt es eine kleine Polizeidienststelle.«
Beim letzten Wort war Ulbrichts Neugier erwacht.
Doch der junge Kommissar winkte ab. »Ist nur noch tagsüber besetzt, die Wache. In den Nachtstunden übernehmen die Kollegen aus dem Polizeipräsidium den Bezirk.«
»Hm.« Ulbricht nickte und sah den Männern vom Bestattungsinstitut nach. »Wer hat unseren Toten gefunden?«
»Eine junge Frau, die mit dem Hund unterwegs war.« Heinrichs zog einen Zettel hervor. »Gerlinde Hermanns. Sie wohnt hier in der Straße, Hausnummer 22, das ist gleich da vorn.«
»Und niemand hat den Schuss gehört?«, wunderte sich Ulbricht.
Kopfschütteln. »Offensichtlich nicht. Vielleicht haben die Täter eine
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