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Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Titel: Blutherz - Wallner, M: Blutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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Erklärung aus. Was noch?«
    »Ist doch ganz einfach: Er hat eine andere.«
    Wieso besaß der kleine Bursche die Gabe, die Dinge so simpel beim Namen zu nennen? Teddie mag mich, dachte Sam, aber wahrscheinlich hat er schon eine Freundin. Ein gut aussehender Typ wie er könnte an jedem Finger zehn haben. »Wieso hat er mich dann überhaupt eingeladen?«, fragte sie. »Ich war gestern der Ehrengast bei dem Dinner.«
    Mit einem Mal wirkte der Junge sehr müde. »Vielleicht hat diese reiche Familie etwas … Besonderes mit dir vor …« Die Augen fielen ihm zu, er atmete tief und war mitten im Satz eingeschlafen.
    Sam vergewisserte sich, dass die Monitore über ihm normale Werte anzeigten, und nahm das Dessert vom Nachttisch. Sie betrachtete den Patienten sorgenvoll. Nicht auszudenken, wenn er durch ihre Verantwortungslosigkeit gestorben wäre. Wir müssen bald ein Spenderorgan für ihn finden, dachte sie, wir müssen es einfach!

8
    I m Grunde hast du mir einen Gefallen getan«, sagte Harry am Telefon.
    Sam hatte schlimme Vorwürfe erwartet oder den Versuch, mehr Geld herauszuschlagen.
    »Vor mir brauchst du nicht den Helden spielen.« Sie nahm ihm seine coole Haltung nicht ab. »Wir beide haben Mist gebaut, aber …«
    »… aber wer eine einflussreiche Tante auf der Station hat, der braucht sich um seine Zukunft keine Sorgen zu machen.«
    »Und wenn ich dir sage, dass ich auch um ein Haar rausgeflogen wäre?«
    »Mach dir keinen Kopf, Samantha.« Er klang ganz heiter. »Fiebermessen und Hinternabputzen sind nicht das, was ich mir unter einer Zukunft vorstelle. Von jetzt an kann es mit Harry nur noch bergauf gehen.«
    »Freut mich, dass du es so leichtnimmst.«
    »Im Ernst, Sam, du solltest dort auch nicht versauern. Hau bloß ab aus Sir Kennocks Metzgerabteilung, bevor es zu spät ist. Das ist doch pervers, tote Herzen aus toten Leuten rauszuschneiden und in lebende Leute reinzupflanzen. Wer bei so was zu lange mitmacht, wird früher oder später auch ein Monster.«
    Während Sam an diesem Tag ihre Pflichten besonders gewissenhaft erfüllte, gingen ihr Harrys Worte nach. Hatte er recht? War es ein unnatürlicher Eingriff, den menschlichen Körper als Ersatzteillager zu benützen? Menschen lebten, wurden krank und starben, neue Menschen wurden geboren. So lautete der ewige Kreislauf. Wieso durfte Sir Alexander Kennock Gott spielen und sagen: Ich gebe dir ein neues Herz, und
dir gebe ich eine neue Niere – du darfst länger leben ? Aber wenn ich selbst in dieser Lage wäre, dachte Sam, wenn mein Herz plötzlich nicht mehr funktionierte, würde ich diese wunderbare Hilfe nicht annehmen? Soll der kleine Andrew seinen zwölften Geburtstag nicht mehr erleben, nur weil er mit einer kranken Niere geboren wurde?
    Sam gestand sich ein, dass Harry noch einen zweiten empfindlichen Punkt bei ihr angesprochen hatte. Bis jetzt hatten ihr der Job, die Umgebung, selbst ihre verrückte Bleibe unter der Erde gefallen, weil all das ein Leben in London ermöglichte. Die Krankenhausverwaltung hatte ihr sogar bald ein Zimmer in der Personalunterkunft in Aussicht gestellt, aber seit gestern genügte Samantha das nicht mehr. Eine unbekannte Sehnsucht hatte von ihr Besitz ergriffen; sie ertappte sich bei Träumereien, wie es wäre, sich öfter mit Teddie zu treffen, vielleicht sogar eine feste Beziehung mit ihm einzugehen. Bin ich denn wirklich in ihn verliebt?, fragte sie sich während der Kaffeepause. Ein Teil von ihr sagte Ja, gleichzeitig aber fühlte sie ein eigenartiges Misstrauen ihm und seiner Familie gegenüber. Wieso waren sie bei dem Dinner so nett zu ihr gewesen? Warum war ausgerechnet sie, die Taddeusz kaum kannte, wie ein künftiges Familienmitglied behandelt worden? Wie kam es, dass Mr Lockool dort anwesend gewesen war? Wieso wohnten die Kóranyis zu dritt in dem riesigen Haus und weshalb gab es dort keine Frauen? Ein wenig gruselte es Sam bei der Erinnerung an den Abend, stärker aber war ihre Sehnsucht, Taddeusz möglichst bald wiederzusehen.
    Ihr Wunsch blieb unerfüllt. Kein Anruf Teddies erreichte sie und keine SMS. Abends stieg sie in ihr Zimmer hinab, in der unvernünftigen Hoffnung, wieder einen Brief von ihm vorzufinden. Im Bett las sie lustlos in einem Buch, lauschte auf
die Geräusche, die der Bauch des Krankenhauses von sich gab, und fiel in einen traumlosen Schlaf.
    Am nächsten Morgen ging das Krankenhauseinerlei weiter. Sams einzige Abwechslung waren die Unterhaltungen mit Andrew, dessen Zustand stabil, aber

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