Blutherz - Wallner, M: Blutherz
– zu der Vernissage gehen und auf eigene Faust herausfinden, wie die Wahrheit aussah. Denn eines stellte sie bei all ihren Grübeleien überrascht fest: An ihren Gefühlen für Taddeusz änderte all das nichts. Er war so außergewöhnlich, so verführerisch, so attraktiv, dass sie nicht einfach von ihm lassen wollte, bloß weil er womöglich ein Vampir war. Sam füchtete sich vor ihm, ja, sie hatte schreckliche Angst, gleichzeitig war sie unabänderlich verliebt. Wenn all das Unmögliche stimmte, wenn Richard mit seiner Warnung recht behielt, dann hatten die Kóranyis sie in ein düsteres Geheimnis verstrickt, das sich nicht so leicht wieder abstreifen ließ. Aber zu welchem Zweck? Die Zahnbürste im Mund, Schaum im Mundwinkel, starrte Sam ihr Spiegelbild an. »Was wollen die von mir?«, fragte sie die Reflexion im Glas. »Was wollen die nur?«
15
D er Trubel von Soho, das war das Flanieren Tausender Vergnügungshungriger, die in das traditionsbewusste und zugleich trendige Viertel kamen. Sam hatte die Underground an der Tottenham Court Road verlassen und lief vom Soho Square südlich durch die berühmten kleinen Gassen. Sie wich ihrem Ziel zunächst aus, wollte herumspazieren, sich tummeln im Strom der Zahllosen. Gut gelaunte Touristen, korrekt gekleidete Londoner, junge Leute mit frechen Klamotten, schwule Pärchen, dazwischen Reisegruppen aus Dänemark und Japan – Menschen so wie ich, dachte Samantha. Diese Leute umweht kein Geheimnis, ähnlich dem, das ich heute Nacht zu lüften versuche. Sie haben Liebeskummer, Sorgen um ihre Gesundheit, sie vertuschen ihre kleinen Geheimnisse, sie sind jung und altern jeden Tag ein bisschen, essen und trinken und werden krank und schließlich sterben sie. Wenn es stimmt, was ich über die Bruderschaft der Vampire gelesen habe, können diese Geschöpfe ihr Dasein nicht beenden, bevor ihnen geweihte Gegenstände ins Herz gerammt werden, Pflöcke oder Kruzifixe, oder sie werden mit in Weihwasser getauchten Silberkugeln erschossen. Solange das nicht passiert, treiben sie ihr Unwesen bis in alle Ewigkeit. Das bedeutet – vor einer Karaoke-Bar blieb Sam stehen -, dass Teddie möglicherweise nicht 20 ist, sondern zwei- oder dreihundert Jahre auf dem Buckel hat.
»So ein Quatsch!« Sie schüttelte den Kopf, ließ einige deutsche Touristen vorbei und marschierte die Wardour Street hinunter. Wenn es Vampire gibt, überlegte sie, müsste doch schon mal jemand versucht haben, das Zellgewebe eines solchen Wesens zu analysieren, den molekularen Aufbau, die genetische
Information. Biologisch ist es schließlich unmöglich, dass jemand nicht altert. Allerdings könnte es sein – schon blieb sie wieder stehen -, dass Vampire langsamer altern als Menschen, dass sie uns deshalb als unsterblich erscheinen. Existieren nicht bestimmte Baumriesen, die 2000 Jahresringe aufweisen, also bereits zu Julius Cäsars Zeiten dort standen, oder werden gewisse Schildkrötenarten nicht 200 Jahre und älter?
»Was willst du dir denn nun beweisen?«, fragte sich Sam. »Dass Teddie kein Vampir ist oder das Gegenteil?« Ganz durcheinander von ihren wirren Gedanken, lief sie weiter, nahm die gesuchte Abzweigung und stand gleich darauf vor einer Kunstgalerie, die sich Don’t Be Scared! nannte. Von den Ausstellungsräumen war wenig zu sehen, da sich die Leute drinnen und draußen drängten. Sie standen mit Weißweingläsern auf dem Bürgersteig, Männer in dezenten Anzügen, frierende Frauen in luftigen Kleidchen, allesamt amüsierten sie sich prächtig. Sam hatte ein unauffälliges Outfit gewählt, Jeans, Rolli und einen dunklen Blazer; sie wollte heute nicht als Taddeusz’ Freundin auftreten, sondern herausfinden, ob an ihrem Verdacht etwas dran war.
Zunächst entdeckte sie keinen der Kóranyis, stattdessen den schrägen Mr Lockool, der in einem rotblau gestreiften Gehrock den Gastgeber machte. Während er sich hierhin und dahin wandte und Leute begrüßte, wackelte sein Doppelkinn wie bei einem Puter. Er war so gebläht vor Stolz, als habe er die ausgestellten Bilder selbst gemalt. Sam erkannte die Künstlerin von der Fotografie wieder, die am Eingang hing. Ihr Name war Mircea, sie musste blutjung sein, blondes Haar fiel ihr über die Schultern, sie hatte ein schönes Gesicht und trug ein weißes Kleid. Mirceas Gemälde strahlten das krasse Gegenteil ihrer Schöpferin aus, es waren Porträts von Gestalten, die einer düsteren Phantasie entstammten; die verzerrten Gesichter
waren in Blau- und
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