Blutherz - Wallner, M: Blutherz
Schwarztönen gemalt, aus dunklen Augenhöhlen starrten sie den Betrachter an. Die Vernissagebesucher ließen sich durch die trübseligen Bilder jedoch nicht die Stimmung verderben, es wurde gelacht und geplaudert, im Hintergrund spielte ein Trio auf drei Elektrogitarren einen spacigen Sound.
»Mein Kind, da sind Sie ja!«
Sam nahm nicht an, dass sie mit der Anrede gemeint war, doch als sie den Kopf wandte, stand Valerian Kóranyi hinter ihr. Bei der Vorstellung, er sei das Oberhaupt eines uralten Clans, der mächtigste und gefährlichste Vampir von allen, zuckte sie kurz zusammen. Dabei sah Valerian überhaupt nicht wie ein blutrünstiger Untoter aus, er war leger gekleidet, so als habe er keine Lust gehabt, sich in Schale zu werfen. Sein Anzug war ausgebeult, die Krawatte saß locker, unter dem Sakko entdeckte Sam eine Wollweste, die ihn gegen die Oktoberkälte schützte.
»Guten Abend. Danke für die Einladung.« Das ungezwungene Auftreten Valerians nahm Sam ungewollt für ihn ein. Was für ein netter, lockerer Papa, dachte sie, ich wollte, mein eigener wäre genauso. »Ist Teddie schon da?«
»Ja, er muss hier irgendwo …« Er machte eine Geste in das allgemeine Treiben.
»Und Richard?«
»Dickie?« Einen Moment stutzte der Vater. »Der drückt sich wieder einmal.« Er lächelte betrübt. »Der Junge ist noch mein Grab. Ich hoffe, dass er mit den Jahren lernen wird, was Verantwortung bedeutet.«
»Darf ich Sie etwas fragen, Mister Kóranyi?«
»Was du willst.« Zwanglos legte er ihr den Arm um die Schulter.
»Wie alt sind Sie?«
»Oh, wie herrlich direkt! Wie kannst du einem reifen Herrn, der alles tut, sein Alter zu verschleiern, so eine Frage stellen?«, drohte er scherzhaft. »In diesem Winter feiere ich einen runden Geburtstag«, fuhr er vertraulich fort, »und du kannst dir denken, dass es nicht mein vierzigster ist.«
Nach dieser Antwort musterte er Sam eingehend. »Ich kann mir nicht helfen, aber du siehst verändert aus, liebe Samantha.«
»Verändert, was meinen Sie?«
»Irgendwie runder, weicher, fraulicher.«
»Kann sein, dass ich etwas zugenommen habe.« Sie strich ihren Pulli glatt und zog den Bauch ein.
»Das ist es nicht.« Er trat einen Schritt zurück. »Ich glaube, dass dir die Liebe zu Teddie bekommt.«
»Finden Sie?« Das war ein derart schönes Kompliment, dass ihr die Röte in die Wangen schoss. »Mister Kóranyi, warum sind Sie so nett zu mir? Ich bin siebzehn Jahre alt, stamme aus einer gewöhnlichen Familie, ich bin nicht einmal besonders hübsch. Warum behandeln Sie und Taddeusz mich, als sei ich etwas Besonderes?«
»Weil du das bist«, antwortete er mit warmem Lächeln. »Du bist ein einmaliges schottisches Mädchen aus einer besonderen Familie. Genau so jemanden habe ich mir immer für Teddie gewünscht.«
»Woher kennen Sie meine Familie?«, fragte sie hellwach.
»Jetzt bist du mir auf die Schliche gekommen.« Sein Lächeln wurde noch breiter. »Gut, ich will dir mein Geheimnis verraten.«
Samantha stand stocksteif da. Kam nun das Bekenntnis, das sie befürchtete?
»Ich habe Geschäftsfreunde an der schottischen Grenze. Einen von ihnen bat ich, sich mal in Lower Liargo umzuhören.
Daher weiß ich, dass dein Vater der Vikar eurer Gemeinde ist, dass ihr ein hübsches Haus bewohnt, an dem ein Bach vorbeifließt. Dein Papa ist ein geachteter Mann. Er rief mehrere wohltätige Einrichtungen ins Leben und engagiert sich für arbeitslose Jugendliche, von denen es eine Menge gibt, seit das Zementwerk geschlossen wurde. Deine Mutter hat das gleiche feuerrote Haar wie du, sie ist leider nicht ganz gesund, doch bis heute konnte niemand den wahren Grund ihrer Schwächlichkeit feststellen. Ihr grüner Daumen ist in Lower Liargo berühmt; was deine Mama in die Erde setzt, wächst und gedeiht. Kurzum: Die Tochter eines schottischen Vikars und einer liebenswürdigen Gärtnerin soll mir in meiner Familie hoch willkommen sein.«
Sam war beeindruckt. Niemand hatte ihre Familie zuvor so präzise, dabei in so positiven Farben geschildert. Selbst Mamas Kränkeln hatte er friedvoll dargestellt, und ihre Gartenarbeit als Hobby, das sie die Krankheit vergessen ließ. Samantha fürchtete, sich durch seine Schmeicheleien von ihrem Ziel ablenken zu lassen: Sie musste herausfinden, ob die Kóranyis Vampire waren! Im Augenblick erschien es ihr vollkommen absurd. Brauchte man Valerian nicht bloß anzusehen, um vom Gegenteil überzeugt zu sein? Und doch wanderten Sams Augen unauffällig
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