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Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Titel: Blutherz - Wallner, M: Blutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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irisch-gälische, aber auch britannische Lehnwörter in die Sprache ein. Daher nahm man lange an, sie sei indogermanischen Ursprungs. Ich bin aber der Meinung, dieses uralte Volk wanderte aus dem Osten zu uns ein.«
    Sam staunte, mit welcher Intensität ihr Vater von etwas sprach, das seit Jahrhunderten abgetan zu sein schien. »Warum interessierst du dich dafür?«
    »Wegen der Gewalt.« Er nahm die Brille ab.
    »Gewalt?«
    »Die Bräuche der Pikten müssen ungewöhnlich brutal gewesen sein. Und die Jünger Fortrius praktizieren diese Riten wieder.« Ein wachsamer Blick zu Samantha. »Ach, ich glaube, das willst du gar nicht wissen.«

    »Erzähl schon.«
    »Bei den Pikten gab es eine große Anzahl von Naturgöttern und Schutzgeistern. Geister der Wälder, Flussgottheiten, selbst Tiere wurden von ihnen verehrt. Ihren Gottheiten brachten die Pikten Opfer dar – auch Menschenopfer.«
    »Woher weiß man das?« Sam spürte, wie ihre Zehen wieder kalt wurden, aber sie wollte kein Wort des Vaters verpassen.
    »In den Aufzeichnungen römischer Geschichtsschreiber und christlicher Mönche heißt es übereinstimmend, Fortrius Krieger hätten die abgeschlagenen Köpfe von Feinden auf die Bäume gehängt, um Angreifer abzuschrecken. Es wurden auch Gravuren gefunden, auf denen Menschen in Kochkesseln abgebildet waren. Die Pikten glaubten offenbar, die Kraft ihrer Gegner aus ihnen heraussaugen zu können.«
    »Aussaugen?« Sam war mit einem Mal hellwach.
    »Der Brauch war bei Barbarenvölkern nicht unüblich. Man wünschte sich, den Mut und die Kraft der Feinde aus ihrem Blut zu trinken. Darum verspeisten die Pikten auch deren Herzen.«
    Sam schluckte: Sie tranken das Blut, sie aßen das Herz? »Aber wenn diese Jünger Fortrius die Herzen anderer Leute essen … Warum ruft da keiner die Polizei?«
    John lächelte. »Du und deine Phantasie. Natürlich ahmen sie den Brauch nur nach. Sie zünden große Feuer an, bemalen ihre nackten Körper und verspeisen die Herzen von geschlachteten Schweinen.«
    »Wozu?«
    »Das ist die Frage. Wozu stürzen sich Leute, an einem Gummiband aufgehängt, in den Abgrund? Weshalb fesseln und misshandeln sie einander zum Spaß? Zu welchem Zweck spielen sie brutale Computerspiele?« Er beugte sich zu Samantha.
»Um einen besonderen Kick zu kriegen. Um sich aufzuheizen oder einfach, um imaginäre Gegner zu überwinden. Dieser schreckliche, dumme Trieb ist in der menschlichen Natur leider seit jeher angelegt.«
    Sam erinnerte sich nicht, ihren Vater, der die Fehler anderer sonst verstand und tolerierte, je ein solch hartes Urteil sprechen gehört zu haben. »Und wirst du etwas gegen die Fortriu - Leute unternehmen?«
    »Noch ist ihr Treiben nicht kriminell. Aber ich beobachte sie.«
    »Woher weißt du überhaupt so genau, was sie bei ihren rituellen Messen tun?«
    »Schluss jetzt«, unterbrach er. »Das ist kein Thema für einen nächtlichen Schwatz. Ich bin müde. Wir sollten noch ein paar Stunden schlafen.«
    Er stand auf, strich Sam übers Haar und ging in sein Zimmer. Das Buch aber, das bebilderte Werk über die schottische Urgeschichte, blieb auf dem Lesetisch liegen. Sam saß noch ein paar Sekunden regungslos da, dann packte sie das Buch und lief die Treppe hoch. Sie schlüpfte ins Bett, machte Licht und schlug das Kapitel über die Pikten auf.

21
    P ünktlicham Montagmorgen war Sam wieder bei der Arbeit. Die Reise in ihr altes Zuhause hatte nicht das gewünschte Ergebnis gebracht: Sie hatte sich wegen ihrer Schwangerschaft von den Eltern keinen Rat geholt. Dennoch war die kurze Zeit in Lower Liargo für sie eine Erholung gewesen. Sie hatte in sich die Überzeugung erneuert, nicht schutzlos
und allein auf der Welt zu sein, sondern von diesen beiden Menschen bedingungslos geliebt zu werden.
    Am Morgen nach dem Eindringen der Fledermaus hatte Louise ihr Zimmer nicht verlassen, John war mit dem Frühstück zu ihr hinaufgegangen. Sam hatte ihren Vater darauf zur Messe begleitet und über die Zahl der Gläubigen in seiner Kirche gestaunt. Auch viele junge Leute waren darunter. Sie hatte mit Freundinnen von früher geplaudert und war als das London Girl neidisch nach ihren Erlebnissen befragt worden. Nachmittags hatten sie und die Eltern einen Ausflug gemacht. In den herbstlichen Feldern rund um die Stadt hatte Sam ihre Sorgen beinahe vergessen, vielleicht auch, weil die schreckliche Übelkeit an diesem Tag ausgeblieben war. Als Louise und sie einen Moment allein waren, hatte sich die Mutter gewünscht,

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