Blutherz - Wallner, M: Blutherz
sich in der Kirchengemeinde getan hatte, dass die Orgel endlich den neuen Blasebalg bekommen hatte und John selbst das Instrument zur Weihnachtsmette einweihen wollte. Der Nachmittag dehnte sich behaglich vor ihnen aus, es gab keine Pflichten für Sam, das Krankenhaus und die Station für Organtransplantation waren weit fort. Selbst Teddie und die Familie Kóranyi rückten in beruhigende Ferne.
20
D er Abend war angebrochen. Zweimal hatte Sam die ein leitenden Worte über ihren Zustand schon auf den Lippen gehabt, es dann aber besser gefunden, damit zu warten, bis John zum Vespergebet in die Kirche ging und die Frauen das Haus für sich hatten.
Kaum waren sie zu zweit, erkundigte sich die Mutter noch eindringlicher, ob es ihrem Mädchen in der Großstadt wirklich gut ging, wie sie zurechtkam, ob es ihr an irgendetwas fehlte. Da Louise so besorgt wirkte, wollte Sam sie zunächst beruhigen, erzählte von ihrer Arbeit auf der Station, dass Tante Margret ihr Regime dort streng, aber gerecht führte und stets ein wachsames Auge auf ihre Nichte hätte. Währenddessen bereitete die Mutter einen Brei für sich zu, zur Stärkung, wie sie sagte, jeden Abend esse sie davon.
»Warum ist Tante Margret eigentlich nicht verheiratet?«
Louise rührte im Topf. »Manche Menschen sind für das Alleinsein geschaffen. Außerdem …« Sie schaute über die Schulter. »Es gab da einen Karussellbesitzer in Hobbleton, der ihr das Herz gebrochen hat. Ich fürchte, auf den wartet sie immer noch.«
»Habt ihr euch als Kinder gut verstanden?« Sam zog ein weiteres Kissen heran und lümmelte sich auf die Bank.
»Maggie war immer die Bestimmende.« Louise füllte den dampfenden Brei in eine Schale und schnitt eine halbe Banane hinein. »Wenn nötig, hat sie in der Schule für uns beide gestritten. Ich bewunderte sie.«
Sam beobachtete, wie die Mutter mit winzigen Bissen aß, nicht genussvoll, sondern als ekle sie sich davor. »Was ist das für ein Zeug?«
»Da sind kräftigende Sachen drin, zum Beispiel …« Sie unterbrach sich. »Bloß kräftigende Sachen.«
»Wie war das für Margret, als du geheiratet hast und schwanger wurdest?«
»Sie ging nach London und wurde Krankenschwester.« Der Kopf der Mutter senkte sich über die Schale. »Ich folgte deinem Vater hierher.«
»Aber vorher habt ihr geheiratet?«
Einen Moment sah es so aus, als wollte die Mutter aufspringen und ins Freie stürzen, dann besann sie sich und setzte sich mit ernstem Gesicht neben Sam. »Als John und ich hierherkamen, war ich bereits in anderen Umständen.«
»Was denn, er hat dich erst geheiratet, nachdem du schwanger geworden bist?«
»Dein Vater wollte … er hätte mich schon früher zur Frau genommen. Es lag an mir, ich habe gezögert. Und dann …« Sie sah ihre Tochter an. »Tja, dann wurde es eben notwendig.«
»Ist ja ein Ding!« Lachend schlug Sam auf den Tisch. »Meine
Mutter, ein gefallenes Mädchen!« Sie hoffte, auf diese Weise unauffällig auf ihr eigenes Thema zu sprechen zu kommen. »Wie war das, als du mich in dir getragen hast?«
Irritiert rückte die Mutter ab. »Warum willst du das wissen?«
»Na ja, wir zwei, als wir noch unter uns waren, wie fühlte sich das an?«
»Schrecklich«, antwortete Louise. »Ich wusste nicht, dass es solche Schmerzen gibt.«
»Bei der Geburt?«
»Während der ganzen Schwangerschaft.« Sie verschränkte die Hände ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Gab es Komplikationen?«
»Du lagst ungünstig in meinem Körper. Darum haben sie dich vor der Zeit herausgeholt.«
»Vor der Zeit?!« Sam erstarrte. Wieso hatte ihre Mutter siebzehn Jahre geschwiegen, bevor sie ihr das offenbarte?
Louises Stimme klang noch leiser. »Ich hätte es sonst nicht überlebt.«
»Das heißt, ich bin schuld, dass du …«
»Nein nein.« Sie nahm die Hand ihrer Tochter. »Mit dir hat das nichts zu tun. Du warst ein süßes Baby, ein sehr liebes rothaariges Mädchen. Wir haben dich gleich ins Herz geschlossen.«
»Was ist nach der Geburt passiert?« Die zärtlichen Worte beruhigten Sam nicht.
»John und seine Kirche gaben mir die nötige Kraft. Das Gebet, die tägliche Nähe zu unserem Erlöser, das brauchte ich am meisten, um meine Wunde zu heilen. Ich brauche es heute noch.«
»Welche Wunde, Mama?«
»So gerne ich das Leben, das der Herr uns geschenkt hat,
als Aufgabe der Liebe und Freude ansehen möchte, erscheint es mir doch oft als dorniger Weg voller Martern und Schmerzen. Dann verliere ich jeden
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