Blutherz - Wallner, M: Blutherz
Wechsel von waldigen Hügeln, gepflügten Feldern und Dörfern so heiter auf die Sinne, dass Sam die Schuhe auszog, ihren Sitz in die Liegestellung senkte und es sich gemütlich machte.
»Schön ist das hier. So unberührt.«
»Na, ich weiß nicht.« Richard zeigte auf ein verwittertes
kommunistisches Denkmal, das vom Strom der Zeit vergessen worden war: ein massives Steintor mit Hammer und Sichel und einer kyrillischen Inschrift. Richard wich einem Schlagloch aus und trat aufs Gas.
»Lass uns langsam fahren.« Sie lächelte. »Wir haben es nicht eilig.«
»Besonders da wir nicht einmal wissen, wo wir eigentlich hinwollen.« Er schnaubte.
»Wenn keine Sonne scheint, könntest du das Ding doch abnehmen.« Sie wollte ihn aufheitern, aber Richards Laune sank von Kilometer zu Kilometer.
»Bescheuerte Idee«, murrte er. »Was für eine idiotische Idee, ohne Ziel ins Alte Land zu fahren!« Vor Ärger drückte er auf die Hupe. »Der Lösung des Rätsels werden wir hier genauso wenig näherkommen wie in England oder Schottland oder sonstwo!«
»Was ist los mit dir?« Sie fixierte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Habe ich deshalb Blut aus meiner Station gestohlen, dich gefüttert, mich mit deinem Vater rumgeschlagen, habe ich mich deshalb in Fortrius Festung einkerkern lassen, bin ich deshalb von untoten Jüngern fast umgebracht worden und habe in Eiseskälte die Flucht vor Teddie überstanden, um mir jetzt dein Gemeckere anzuhören?! Wir sind noch gar nicht im Alten Land; wir haben die Leute noch nicht erreicht, die den Kräuterlikör herstellen und uns sagen können, wo die Kirsche wächst. Aber wir sind gesund, wir sind den Bestien entkommen, wir haben sogar deinen Bruder abgehängt! Es ist schön hier, Dickie, schau nur, hier stehen noch nicht so viele Hochspannungsmasten und Windräder und der ganze Zivilisationsblödsinn.« Sie warf sich gegen die Lehne. »Darum will ich jetzt kein mies gelauntes Wort mehr hören. Das Einzige, was ich will, ist, was Anständiges essen.«
Nach der flammenden Ansprache war es erst einmal still im Wagen.
»Wir könnten dort in der Raststätte haltmachen«, sagte Richard, als vor ihnen ein Schild auftauchte.
»Moment mal …« Sam verstummte von einer Sekunde zur nächsten.
»Was?«
»Irgendwas ist hier.« Sie stellte die Füße zu Boden und starrte aus dem Fenster. »Etwas Neues … Unbekanntes.« Sie ließ die Scheibe herunter. »Etwas Bedrohliches.«
Weit und breit sah man nur Hügel, vereinzelte Baumgruppen, Ackerland, entfernte Wälder.
»Ich spüre es ganz stark.« Sie umfasste ihren Bauch, in dem es plötzlich wieder unruhig wurde. »Du musst das doch auch fühlen.«
»Was denn, Samantha?« Er stieg vom Gas.
»Nicht langsamer fahren! Wir müssen rasch durch. Etwas Schreckliches ist hier!«
Nach der nächsten Kurve kam ein Wegweiser in Sicht: Snagov, 3 km.
»Von dort kommt es!« Sie zeigte auf das Schild und begann, stoßweise zu atmen. Die Krämpfe wurden stärker. Die Abzweigung lag unmittelbar vor ihnen.
Richard fuhr, ohne zu antworten. Er chauffierte vorgebeugt, die Augen starr auf die Straße gerichtet. »Das ist unmöglich«, flüsterte er.
»Was – was?!« Sie krümmte sich vor Schmerzen.
»Du hast nie gelesen oder gehört, was sich in Snagov befindet?«
»Nein! Wie sollte ich!« Sie umklammerte ihren Bauch mit beiden Armen. »Willst du’s mir jetzt endlich sagen?!«
Der Wald zur Rechten lichtete sich, ein See wurde sichtbar.
In seiner Mitte lag eine Insel, darauf erkannte Sam ein Gebäude mit mehreren Türmen. »Was ist das?«
»Ein Kloster.«
»Und weshalb geht es mir in der Nähe dieses Klosters so dreckig?«
»Es wurde im 16. Jahrhundert erbaut.« Richard fuhr im selben Tempo weiter. »Die Stiftskirche soll allerdings viel früher begonnen worden sein, unter der Herrschaft von …«
»Aaaah!« Die Schwangere schlug vor Schmerz auf das Armaturenbrett.
»Unter der Herrschaft von Fürst Vlad III.« Der Geländewagen raste über die kurvenreiche Straße.
»Vlad – der Pfähler?«, fragte Sam atemlos. »Vlad Drakula?« Er nickte. »Vor der Altarwand der Kirche liegt Drakulas Körper begraben.« Er sah sie kurz an. »Nur sein Körper, nicht der Kopf.«
»Wieso nicht?«
»Weil es damals wie heute die beste Methode ist, einen Vampir unschädlich zu machen, indem man seinen Kopf vom Körper trennt.«
Mit jedem Meter, den das Kloster Snagov hinter ihnen verschwand, ließen Samanthas Krämpfe nach. »Und wo ist sein Kopf?« Endlich waren sie
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