Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
keinen Schnee, fühlte keine Kälte, achtete nicht auf das schwermütige Grau des Himmels. Glücklich wie noch nie in ihrem Leben überschüttete sie ihre Eiche mit Komplimenten und Albernheiten, bejubelte aber vor allem sich selbst. Silvester 1773 hatte es also begonnen, das neue Leben! Von heute an war das Ziel in greifbare Nähe gerückt, der Wunsch, als die erste Kaiserstühler Champenoise in die Geschichte einzugehen. Ruhmsüchtig war sie nie gewesen, aber aus ihrem Leben das Beste zu machen, hatte sie sich schon bei den Nonnen vorgenommen. Und nach Cees’ Tod galt dies erst recht.
Dieser Mousseux war ein Wunder, zweifelsohne. Aber nicht ein Wunder, das von oben herab geschenkt wird, sondern eines der Arbeit und Disziplin. Wenig anderes als der Lohn für die entbehrungsreichen Arbeiten in den Reben, kaum mehr als die Vergeltung des Schicksals für ihre Geduld und unverdrossen fortgesetzte Versuche im Verschneiden von Weinen und Rütteln der Flaschen. Sie war die Siegerin! Hatte den Kampf mit dem schlingpflanzigen und empfindlichen Weinstock gewonnen, ihn so gezogen und geschnitten, dass er die Trauben trug, die sie wollte! Und die Verschnittweine! Waren sie nicht in ihren Fässern zu raffinierten Stillweinen herangereift? Jeder einzelne, durch immer neues Umfüllen? Geradewegs zum Verschneiden ausgebaute Weine waren es doch, Weine, die sie dazu gebracht hatte, sich aus den Fässern das zu holen, was ihren Körper stützt und ihren Charakter abrundet.
Als Meister Jonathan vor zehn Monaten endlich das bei ihm in Auftrag gegebene Fass geliefert hatte, weingrün gebeizt, hatte sie eigentlich schon damals keine Verwendung mehr dafür. Schließlich entschied sie sich, einen Teil der Dosage darin einzulagern, jene geringe Menge Verschnittweins, die jeder Flasche zugesetzt wird, weil ihr nach dem Entfernen des Sediments etwas Flüssigkeit fehlt. Es sah aus wie alle anderen neuen Fässer, und Carli, Meister Jonathans Lehrling verband mit ihm nichts anderes als einen Streich, den er der Madame natürlich nicht erzählt hatte.
Aus seinem Fass tät’s riechen, hatten ihn zwei Gesellen geneckt, die morgens vor dem Abtritt ins fertige Fass gefurzt hatten. Die Nase am Spundloch, war ihm übel geworden. Als ob etwas drin verwest war, so hatte es gestunken, und selbstverständlich war er aufgeregt zum Meister gerannt. Dass der ihn für verrückt erklärte, war natürlich leicht zu begreifen, denn auch der grässlichste Furz hielt sich nicht eine Viertelstunde, vor allem wenn man mit dem Fass, Spundloch vorneweg, rennt! Das Gelächter der Gesellen hatte sie bald verraten. Und den ganzen Tag lang hatten sie sich über Fürze ausgelassen. Wie man sie am besten mit einem Fidibus abfackelt, wie sie bei Bier und Wein schmeckten und bei Verstopfung oder Dünnschiß.
Auch wenn Barbara in ihrer Euphorie um den Baum tanzte und ihn ausgelassen begoss, so verdrängte sie doch das Schicksal ihres greisen Chevaliers. Viel schlimmer noch, Gleichgültigkeit hatte sich bei ihr breitgemacht. Blind und taub, von ihrem Mousseaux berauscht, nahm sie seine Zeichen schon länger nicht mehr wahr. Spürte seine Aura nicht mehr, fühlte nicht, dass der Baum sich verwandelt hatte und jetzt hämisch ihrer Freude zuschaute.
Was würde ein Jahr später sein? Barbara malte sich einen kometenhaften Aufstieg aus, der sie aus der Durchschnittlichkeit ihres Lebens heben würde. Der ihr ersetzten sollte, dass sie als Findelkind und Nonnenzögling der Welt geschenkt worden war. Der ein klein wenig Balsam bieten würde, die immer öfter und länger verwundende Sehnsucht nach Mutter- und Vaterliebe zu lindern. Dabei konnte sie seit Marias Geburtstagsnacht im April 1772 auf ein schönes und erfolgreiches Eindreivierteljahr zurückblicken. Ein erster Höhepunkt damals war vier Monate später ihr Geburtstag. Johannes’ Geschenk war ein vom Abt und Cellerar unterzeichneter Brief gewesen, der nichts Geringeres darstellte als die Order auf eine Menge von insgesamt zwei Ohm ihres Räuschlings und Weißburgunders. Beiliegend das Angebot, bei Gefallen an ihrem Mousseux im nächsten, 1773ten Jahr des Herrn, ein halbes Dutzend Kisten abzunehmen. Der dicke Rudolf hatte das Geschäft vermittelt und kassierte dafür eine Provision von einem Dutzend Flaschen, ganz selbstverständlich von ihm eingefordert. Und da sie sich natürlich nicht lumpen lassen wollte, wickelte sie diese zusätzlich mit ein paar ihrer Elblingflaschen ein.
Ihre vorweihnachtlichen Feste hatten im
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