Blutige Asche Roman
der anderen hielt sie eine Zigarette.
Ich setzte ein freundliches, aber professionelles Gesicht auf und bog in ihren Gartenweg ein.
Noch bevor ich klingeln konnte, wurde mir aufgemacht. »Ich habe mich bereits gefragt, wann Sie zu mir kommen.« Sie hatte eine merkwürdig heisere Stimme.
»Ja?«
»Ja. Wenn in dieser Straße jemand weiß, was los ist, dann ich. Deshalb ist es sicherlich das Beste, Sie sprechen mit mir.«
»Ich bin Iris Kastelein.« Ich streckte die Hand aus.
»Gerrie. Dann sollte ich Sie wohl mal reinlassen.« Sie ging voraus. Wir betraten die Küche und setzten uns an einen kleinen Tisch mit karierter Tischdecke am Fenster. Die penetrante Mischung aus Zigarettenrauch und Allesreiniger brannte mir in den Augen.
»Hier sitze ich meist, wenn ich nicht gerade putze. Im Wohnzimmer bin ich eigentlich kaum. Was gibt es hinten im Garten schon groß zu sehen? Früher sah man da manchmal Spatzen, doch die gibt es heute nicht mehr. Aber hier vorn ist noch was los.«
Gerries Haus befand sich genau gegenüber von Rositas. Der Abstand betrug etwa fünfzehn Meter. Man brauchte nicht mal ein Fernglas, um die Nachbarn zu beobachten.
»Sie wissen also genau, was in der Nachbarschaft los ist?«
»Na und ob. Mir entgeht nichts«, sagte sie stolz. »Ich weiß auch, dass Sie letzte Woche mit Ihrem Kind hier waren. Ein Junge? Wirklich süß. Ich wusste sofort, dass Sie nicht hergekommen sind, um sich eine Wohnung anzusehen, und auch nicht, um die Stromzähler abzulesen.« Sie lachte.
»Toll, was Sie so alles mitkriegen.« Ich hoffte, noch eine Weile in diesem Ton fortfahren zu können. »Ich bin die Anwältin von Herrn Boelens, Ihrem früheren Nachbarn. Ich versuche mir einen Eindruck vom Mord an Rosita und Anna Angeli zu verschaffen.«
»Ich war an jenem Morgen auf dem Markt. Da passiert endlich mal was, und ich kauf Salat für einen Gulden pro Kopf. Heute kostet er einen Euro. Wofür man früher einen Gulden bezahlt hat, muss man heute einen Euro hinlegen. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt. Mein Mann sagt, ich soll endlich mit dem Umrechnen aufhören.«
Ich nickte.
»Deshalb hab ich nichts gesehen. Trotzdem war ich diejenige, die die Polizei gerufen hat. Ich sah, dass die Haustür dieser Person offen stand, und dachte: Da stimmt doch was nicht! Ich bin zum Haus gegangen, und da lag sie. Zusammen mit dem Kind. Auf beide war wie wild eingestochen worden. So was haben Sie noch nie gesehen. Ich habe nächtelang nicht schlafen können.«
Sie steckte sich eine neue Zigarette an. Eine von den extra langen. Die Schachtel trug eine schwarze Banderole mit dem goldenen Playboy-Logo. Ein alter Mann ging vorbei. Er hob zum Gruß die Hand und legte sie an die Krempe seines Humphrey-Bogart-Huts.
»Das ist der alte Cor. Der wohnte auf der anderen Seite
vom Boelens. Mit dem können Sie auch reden, obwohl er mittlerweile nicht mehr ganz helle ist. Er hat mir mal erzählt, dass dieser Ray unglaublichen Lärm machen konnte. Der brüllte wie ein Tier, hat er gesagt.«
»Kam das oft vor?«
»Ab und zu. Eine Zeit lang ging es ihm richtig gut, bevor er Kontakt zu dieser Person hatte. Aber als es dann Schwierigkeiten gab, nun ja …«
»Sie hielten wohl nicht viel von Rosita?«
Sie verdrehte die Augen. »Das war mir eine …! Man soll ja über Tote nichts Schlechtes sagen, aber die … Wie soll ich sagen? Die war unglaublich eingebildet und hat wohl gedacht, sie sei was Besseres. Dabei hatte sie ein Kind von einem verheirateten Mann und lebte von Sozialhilfe. Aber immer schön mit dem Hintern wackeln und den Kerlen schöne Augen machen! Zum Glück wollte mein Mann Kees nichts von ihr wissen. Mir sind ganz normale Frauen lieber, sagt er. Nicht solche Püppchen.«
»Aber glauben Sie, dass Ray sie ermordet hat?«
»Verrückt genug war er. Wussten Sie, dass er hier nachts manchmal die Hecken begradigt hat? Mein Mann ist ihm hin und wieder begegnet, wenn er so eine - sie deutete mit ihren Händen einen knappen Meter an - Heckenschere in der Hand hielt. Und dann dieser merkwürdige Blick. Der konnte wirklich komisch gucken. Mein Mann hat sich zu Tode erschrocken. Aber ansonsten konnte man sich eigentlich nicht beschweren. Er hat wirklich viel gearbeitet und schon mitten in der Nacht angefangen. Dafür war er am frühen Nachmittag wieder zu Hause, und gegen acht gingen schon die Lichter aus. Was ist das für ein Leben? Kein Wunder, dass man da verrückt wird.«
Sie nahm einen tiefen Zug. Ich bekam langsam Kopfweh,
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