Blutige Erde Thriller
die Laken hatte. Der Aschenbecher neben ihr war voll, und auf dem Boden lagen zwei leere Bierdosen.
»Mom?«
Sie lag einfach nur da. Ihre Augen waren geschlossen, und einer ihrer Arme hing über die Bettkante. Ihre Nägel waren gelb und ungepflegt, einige waren direkt über der Haut abgebrochen, andere bogen sich wie Klauen.
Josh trat einen Schritt zurück und ließ sich auf einen Stuhl fallen, von wo aus er zusah, wie sich ihre Brust sanft hob und senkte. Sie sah aus, als hätte sie abgenommen, und dadurch wirkten die Falten in ihrem Gesicht so tief, dass sie allmählich Furchen ähnelten.
Sie hatten nie viel gehabt, aber ehrlich gesagt brauchte man gar nicht furchtbar viel, um glücklich zu sein. Um eine Familie zu sein. Ihre Armut konnte man nicht für das verantwortlich machen, was mit ihnen geschehen war. Es waren eher Hunderte von kleinen falschen Entscheidungen, die in ihrer Gesamtheit diese Katastrophe ergeben hatten. Und genau das war das Problem. Es machte es einem leicht, irgendwelchen Träumereien nachzuhängen, die alle mit »was wäre wenn« begannen. Was wäre, wenn
sie keine Alkoholikerin gewesen wäre? Was wäre, wenn sein Vater sich nicht aus dem Staub gemacht hätte?
Aber das hatte er. Und statt ihm musste Josh eine ganze Reihe von Stiefvätern erdulden, die allesamt nichts taugten. Der letzte - Nummer vier - starrte ihn immer noch aus einem schief an der Wand hängenden Bild an. Er war ein richtiges Arschloch gewesen, schlimmer als Nummer eins und Nummer drei, wenn auch nicht ganz so schlimm wie Fawns Vater. Es sah jedoch so aus, als würde dieses Bild das letzte bleiben. Seine Mutter, einst eine wahre Schönheit, war nicht mehr in der Verfassung, einen weiteren Mann an Land zu ziehen. Und da ihre Kinder für sie nicht zählten, hieß das, dass sie ziemlich allein war.
Sein Handy klingelte, und er ging ran.
»Hallo?«
»Josh Hagarty, bitte.«
»Am Apparat.«
»Hi, hier ist Bill von Alder Data Systems.«
Josh setzte sich ein wenig gerader hin. »Bill! Schön, von Ihnen zu hören. Ich freue mich schon sehr darauf, Sie zu treffen und mit Ihnen über die Möglichkeit zu sprechen, Ihr Team zu verstärken.«
»Ja, genau. Deswegen rufe ich an. Ich fürchte, wir müssen den Termin absagen.«
»Können wir einen neuen Termin vereinbaren, der zeitlich günstiger für Sie wäre?«
»Ich denke nicht, Josh. Ihre Bewerbungsunterlagen sind wirklich beeindruckend, aber wir haben uns für jemand anderen entschieden.«
Josh überkam plötzlich Übelkeit. »Bill, Sie machen einen Fehler. Wenn Sie glauben, dass ich auf ein Wahnsinnsgehalt aus bin, dann irren Sie sich. Mir ist klar, dass Sie eine kleine Firma sind, aber gerade das reizt mich.
Ich glaube, ich kann wirklich dazu beitragen, dass Sie Ihr volles Potenzial ausschöpfen -«
»Die Entscheidung ist gefallen, Josh. Es tut mir leid, dass es nicht geklappt hat.«
Schnell verwandelte sich der Schock in Wut. »Himmel nochmal, Bill. Ich habe meinen gesamten Zeitplan danach ausgerichtet, für diesen Termin wieder in der Stadt zu sein. Ich habe andere Unternehmen hingehalten, nur um das Gespräch mit Ihnen wahrnehmen zu können. Und jetzt sagen Sie mir, dass Sie das Ganze einfach abblasen?«
»Sie sind einfach nicht derjenige, nach dem wir gesucht haben, Josh. Es tut mir leid.«
»Aber -«
Die Verbindung riss ab, und er schluckte heftig, bevor er sich umdrehte, um nachzusehen, was das Rascheln hinter ihm verursachte. Fawn stand in der Tür und sah auf ihn herab. Ein breites Grinsen überzog ihr Gesicht.
FÜNF
Weil dies das erste Mal war, dass Josh Hagarty nach einem Vorstellungstermin zu einem Folgegespräch eingeladen wurde, war das Déjà-vu-Gefühl nicht übermäßig ausgeprägt. Natürlich hatte er den diesbezüglichen Geschichten seiner Freunde gierig gelauscht, doch sie hatten bei ihm kaum einen Eindruck hinterlassen; es war, als beschriebe man einem Blinden Farben. Doch all das sollte sich jetzt ändern.
Er sah auf die Uhr und joggte über die Straße, wobei ihm bewusst war, dass er alles genauso tat wie beim ersten Mal - was offensichtlich bedeutete, dass er in Aberglauben und zwanghafte Verhaltensweisen verfiel, aber es war besser, kein Risiko einzugehen.
Die Dame am Empfang lächelte, begrüßte ihn mit seinem Namen und sagte ihm, er solle »einfach nach hinten durchgehen«. Er wertete diese Ungezwungenheit als ein positives Zeichen, und seine Zuversicht wuchs, als ihn auf seinem Weg durch den Flur weitere Leute aus offenen Türen
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