Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
meinem Kopf wirbelten die Wolken wie die Handtücher in einem Wäschetrockner, als ich mich an den Mondeo lehnte und mir vorstellte, doch noch nach Seattle zu gehen. Vielleicht könnte ich dort abends nach der Arbeit im Pazifik schwimmen und das Grauen vergessen, das mir hier begegnet war. Aber dann kehrte ich gedanklich in die Gegenwart zurück, als Burns die Straße überquerte. Er bewegte sich so ruckartig und unkoordiniert, als hätte jemand seine Nervenenden an das landesweite Stromnetz angehängt.
Wortlos schob er sich hinter das Lenkrad seines Wagens, schlug Poppys Terminkalender auf und blätterte ihn rückwärts durch.
»Wusste ich es doch.«
»Was?«
Er sah mich reglos an. »Kingsmith war letzten Monat hier.«
»Sie sollten ihn warnen, Don.«
»Das kann ich nicht.« Burns’ Kiefer machten Überstunden, und ich nahm das Zucken seiner Wangenmuskeln wahr. »Er gibt uns die Schuld daran, dass seine Bank geschlossen worden ist. Wenn wir uns auch nur noch mal in seine Nähe wagen, verklagt er uns wahrscheinlich wegen Stümperei.«
Er tütete Poppys Kalender ein und legte ihn so weit nach hinten auf den Rücksitz, dass er unerreichbar für mich war.
»Darf ich mal gucken?«, fragte ich.
Er knurrte etwas Unverständliches und runzelte so feindselig die Stirn, dass ich, statt mir das Buch zu nehmen, schweigend aus dem Fenster sah.
»Die Boulevardpresse würde wahrscheinlich ein Vermögen dafür zahlen«, meinte er, und meine Neugier nahm noch zu.
Sicher waren die Seiten voll mit Namen von berühmten Sportlern, Schauspielern, Geschäftsmagnaten, und womöglich hatten selbst ein paar Politiker zu Poppys Kundenstamm gehört. Kein Wunder, dass der arme Burns so angespannt aussah. Es war bestimmt nicht leicht, wenn man mit einem Mal ein wichtiger Geheimnisträger war.
»Wir stecken in einer Zwickmühle, nicht wahr?«, wandte er sich an mich. »Weil Kingsmith auf der Liste unseres Killers steht, uns aber nicht einmal in seine Nähe lässt.«
Ich hielt seinem Blick stand. »Er ist nicht der Einzige, um den wir uns Sorgen machen müssen. Denn wenn Kingsmith angegriffen wird, ist vielleicht auch seine Familie in Gefahr.«
Sofort ließ er den Motor an und fuhr mit quietschenden Reifen los.
43
»Ich bringe Sie zu einem Taxistand und fahre dann direkt weiter zu seinem Haus.« Burns beugte sich dicht über das Lenkrad seines Wagens, während er in viel zu hohem Tempo um die erste Kurve schoss.
»Ich komme mit«, bot ich ihm Sophies wegen an.
Sicher hatte sie inzwischen von dem Mord am zweiten Mann der Bank gehört, und wenn sie uns draußen sähe, wäre sie vielleicht etwas beruhigt. Es war bereits nach sieben, als Burns vor einer Reihe von Geschäften hielt. Er stieg aus, kam umgehend zurück, hielt mir zwei Riesenbecher Kaffee hin und fuhr den letzten halben Kilometer bis zu Kingsmith’ Haus.
»Das Koffein da drin reicht sicher aus, um ein Pferd zu töten«, meinte ich.
»Auf jeden Fall wird es uns wach halten.« Burns biss so entschlossen die Zähne aufeinander, als wäre er bereit, im Notfall tausend Jahre hier zu sitzen und zu warten, bis der Killer auftauchte.
Immer noch standen zwei Wachen vor Kingsmith’ Tür. Sie wirkten wie zwei Schauspieler beim Casting für den nächsten Bond. Abgesehen von den beiden sah das Haus wie die Nachbarhäuser aus. Wohlhabend und übertrieben prächtig wie ein übersatter Mensch.
Mir fiel ein, dass Lola immer noch in meiner Wohnung saß, um auf mich aufzupassen. Eilig stieg ich aus und rief sie an. Die Wolken waren noch dunkler als zuvor, und der Himmel wirkte wie mit Kohleflecken übersät.
»Hast du Darren noch einmal gesehen?«
»Leider nein«, erklärte sie enttäuscht, ich aber atmete erleichtert auf.
»Das ist gut. Falls er auftaucht, ruf die Polizei an. Und versprich mir, nicht mit ihm zu reden oder so.«
Obwohl ich mir nicht sicher war, dass sie sie sich notieren würde, gab ich ihr die Nummer des Reviers. Wie ich Lola kannte, würde sie eher auf die Straße rennen und sich selber um ihn kümmern, falls er sich wieder vor meiner Wohnung blicken ließ.
Burns trank so gierig seinen Kaffee, als enthielte er ein Mittel gegen das Leid der Welt. Er war so damit beschäftigt, dass ich die Gelegenheit bekam, ihn mir genauer von der Seite anzusehen. Inzwischen war er beinah attraktiv. Noch zehn Kilo weniger und die Verwandlung von Oliver Hardy in Stan Laurel wäre abgeschlossen. Trotzdem wartete ich irgendwie die ganze Zeit darauf, den alten Burns wiederzusehen,
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