Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
der vielleicht doch noch nicht völlig bezwungen war.
Mit einem Mal beugte er sich auf seinem Sitz nach vorn.
»Da ist sie.«
Sophie stand in der offenen Tür, plauderte mit ihren Wachmännern und bot ihnen mit einem ängstlichen Lächeln Tee aus einer Thermoskanne an.
»Wie konnte dieser Wichser jemals an ein solches Mädchen kommen?«, knurrte er verständnislos.
»Das ist ein Geheimnis, das sich vielleicht niemandem erschließt. Wahrscheinlich ist ihr Selbstbewusstsein nicht besonders ausgeprägt.«
Kaum hatten die beiden Männer ihren Tee getrunken, kehrte sie zurück ins Haus und machte überall im Erdgeschoss die Lampen an. Ich fragte mich, womit Max sich wohl die Zeit vertrieb, seit die Bank geschlossen war. Wenn er weder arbeiten noch Golf spielen gehen konnte, drehte er doch sicher langsam durch.
Um mich zu beschäftigen, sah ich mir Burns’ CD -Box an. Ry Cooder, Curtis Mayfield, Matthew P, Al Green und Amy Winehouse. Dazu tat ich unter meinem Sitz noch ein paar fragwürdige Interpreten – Adam Ant und die Proclaimers – auf, doch war dies sicher nicht der rechte Augenblick, um deshalb mit ihm ins Gericht zu gehen. Ich lenkte meinen Blick zurück aufs Haus und bemerkte, dass es hell erleuchtet war. Vielleicht gehörte das zum Schlachtplan der Familie. Vielleicht sollte das Gebäude ja wie eine Festung wirken, in der jeder wach und auf seinem Posten war. Burns wirkte ebenfalls entschlossen, notfalls bis zum nächsten Morgen auszuharren.
»Sie müssen sich schon mit mir unterhalten, wenn mir nicht die Augen zufallen sollen«, erklärte ich.
»Und worüber?«
»Ganz egal. Zum Beispiel darüber, warum Sie Edinburgh verlassen haben und hierhergekommen sind.«
Burns zuckte gereizt die Schultern, und ich fragte mich, ob er über seine Vergangenheit so ungern sprach wie ich. »Ich bin in Midlothian aufgewachsen. In meinem Dorf gab es nur Bergarbeiterhütten, einen Friedhof und den kleinen Supermarkt, in dem das Verfallsdatum sämtlicher Waren abgelaufen war. Montags, wenn die Arbeitslosen ihre Schecks bekamen, war die Kneipe immer brechend voll und den Rest der Woche leer.«
»Also sind Sie abgehauen?«
»Was mir nicht wirklich gut gelungen ist.« Er starrte weiter reglos auf das Haus. »Ich hatte ein Stipendium von der Kunsthochschule in Edinburgh, aber nach einem Jahr haben sie mich wegen schlechten Betragens rausgeschmissen, und ich bin mit eingezogenem Schwanz nach Hause zurückgekehrt. Wo mein Vater mich nicht mehr hereingelassen hat.«
Vor lauter Überraschung fiel mir keine Antwort ein. In meinem Bild von Burns kamen weder ein missratener Jugendlicher noch auch nur das mindeste Talent zum Zeichnen vor. »Warum sind Sie dann zur Polizei gegangen?«
»Eine allzu große Auswahl hatte ich schließlich nicht mehr. Ich hätte zur Armee gehen können, zur Marine oder eben zur Polizei. Das Einzige, was ich zu bieten hatte, waren eine eklatante Unreife und ein halbwegs guter Schulabschluss.«
»Aber Sie hätten nicht so lange bei der Truppe bleiben müssen, oder?«
Er blickte mich von der Seite an. »Was soll das werden? Spätabendliche Psychoanalyse mit Dr. Alice Quentin?«
»Ich versuche nur nicht einzuschlafen.«
»Also gut. Dann weihe ich Sie eben in mein schmutziges kleines Geheimnis ein. Ich dachte, ich würde diese Arbeit hassen, aber dann hat sie mir plötzlich einen Riesenspaß gemacht. Ich trage dazu bei, dass diese Monster hinter Schloss und Riegel landen, und wenn ich mein Studium abgeschlossen hätte, würde ich an irgendeiner blöden Schule in Midlothian meine Zeit damit verplempern, irgendwelchen Kids das Malen beizubringen, obwohl sie das gar nicht wollen.«
»Und was ist Ihr höchstes Ziel im Leben?«
»Menschenskind. Sie geben einfach keine Ruhe, oder?« Trotzdem dachte er kurz nach. »Ich will, dass meine Jungs einmal eine größere Auswahl haben. Meinetwegen können sie Parkwächter werden, wenn sie das wollen. Ich setze sie bestimmt nicht unter Druck.« Burns wirkte selbst von seiner Vehemenz verblüfft und lenkte eilig von sich ab. »Und was ist Ihr größter Traum?«
»Ich würde gerne Tauchen lernen, am liebsten am Great Barrier Reef.«
Er rollte mit den Augen. »Sehen Sie sich mal Open Water an. Dann sind Sie garantiert kuriert.«
Seine Finger flatterten nervös über das Lenkrad, und ich sah ihm deutlich an, dass das Gespräch für ihn beendet war. Ich fragte mich, mit wie viel Schnaps sein Kaffee wohl verdünnt gewesen war, und hätte gern erklärt, dass ich es
Weitere Kostenlose Bücher