Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
Millionen aus den Rippen geleiert.«
»Schön für Sie. Wahrscheinlich haben diese Typen hier nichts anderes verdient.«
Er starrte mich von oben herab an. »Sie sind ganz schön direkt.«
»Sie meinen, unverschämt.«
Er sah auf meinen Mund, als warte er gespannt auf die nächste Beleidigung. Ich erinnerte mich an den Ratschlag meiner Freundin, meine Flirttechnik zu üben. Dieser Mann war sicher das ideale Versuchsobjekt, denn er war selbstbewusst genug, um eine völlig Fremde anzusprechen, obwohl nur sein Charlie-Chaplin-Lächeln ihn empfahl. Burns jedoch stand stirnrunzelnd am anderen Ende des Foyers, und ich verspürte Schuldgefühle, als er vielsagend auf seine Uhr klopfte und mich daran erinnerte, jetzt endlich weiter meiner Arbeit nachzugehen.
»Kannten Sie Leo Gresham?«, fragte ich.
Piernan sah betroffen aus. »Sogar ziemlich gut, unsere Wege haben sich nämlich recht häufig auf Events wie diesem hier gekreuzt. Schließlich muss ich ständig auf irgendwelche langweilige Spendengalas gehen. Und wie steht es mit Ihnen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Was war er für ein Mensch?«
»Sagen wir mal so – der Mann hat es auf jeden Fall verstanden, sich zu amüsieren.« Er verfolgte, wie ich mein inzwischen zweites Glas Champagner leerte. »Noch eins?«
»Lieber nicht. Ich fände es nämlich schrecklich umzufallen, bevor das Essen kommt.«
»Erzählen Sie mir was von sich.« Er unterzog mich einer eingehenden Musterung. Vielleicht, weil eine Frau in einem so billigen Kleid und mit einer Tasche, die ganz sicher nicht zu ihren Schuhen passte, etwas völlig Neues für ihn war.
»Mein Name ist Alice, meine Lieblingsfarbe ist Türkis, und ich bin Psychologin.«
»Eine Seelenklempnerin in einem Raum voll Banker?«
»Das ist eine lange Geschichte, und ich möchte Sie nicht langweilen.«
»Das können Sie gar nicht.« Er stand so dicht vor mir, dass mir der Geruch seines Rasierwassers – ein seltsames Gemisch aus Sandelholz und Zimt – entgegenschlug. »Aber ich wette, Sie haben einen Ehemann, der Anwalt ist und irgendwelche großen Deals abschließt.«
»Falsch.« Ich lächelte ihn an. »In Wahrheit bin ich eine Spionin.«
Langsam zeigte der Champagner Wirkung, und nachdem ich fast ein halbes Jahr lang Männern aus dem Weg gegangen war, stiegen mir die Avancen dieses Mannes zu Kopf. Piernan setzte zur nächsten Frage an, doch im selben Augenblick ertönte der Essensgong, und eine ältere Frau nahm mich am Ellbogen, zog mich in Richtung Speisesaal und plauderte mit mir, als wären wir bereits seit einer Ewigkeit bekannt. Piernans Blicke folgten mir, als ich noch einmal über meine Schulter sah. Allerdings becircte er inzwischen eine Gruppe von Geschäftsmännern mit seinem Charme.
Es kam mir vor, als hätte er die Absicht, jedem Menschen in diesem Raum ein Geheimnis zu entlocken. Vielleicht sollte ich erleichtert sein, weil ich ihm gerade noch zur rechten Zeit entkommen war.
7
Sämtliche weiblichen Gäste liefen in dieselbe Richtung, denn der Tradition des Clubs zufolge nahmen erst einmal die Damen an den Tischen Platz. Angesichts der fünfstufigen Kronleuchter, die an der Decke hingen, kam ich mir beinahe wie im Speisesaal von Hogwarts vor. Meine Nachbarin beschrieb ausführlich ihre Gebrechen, doch zum Glück brauchte ich selber nichts zu sagen, da die Liste endlos war: Diabetes, Rheuma, Gicht. Verglichen damit kamen meine eigenen Blessuren mir vollkommen harmlos vor, und ich nutzte die Zeit und betrachtete eingehend die Fresken an den Wänden. Jäger galoppierten dort im Kreis, und zwischen den gemalten Bäumen war das Ende eines Fuchsschwanzes zu sehen.
Burns konnte ich nirgendwo entdecken, während ich an meinem Tisch bei fünf älteren Aristokraten saß. Ihre Unterhaltung faszinierte mich. Sie beklagten einstimmig die Erhöhung der Erbschaftssteuer, den Rückgang des Konservatismus und die Lage im Mittleren Osten, machten sich jedoch zugleich begeistert über die servierte Hausmannskost – unter einer dicken Butterschicht verborgene Garnelen und danach verkochten Steinbutt – her. Ich erkundigte mich bei meinem Tischnachbarn, ob er ein Kollege des verstorbenen Angel-Mitarbeiters war, doch er sah direkt durch mich hindurch.
»Eine wirklich hässliche Geschichte«, murmelte er knapp. »Reichen Sie mir bitte mal den Wein.«
Er riss mir die Flasche aus der Hand und wandte mir den Rücken zu, die anderen jedoch bemühten sich, ein wenig freundlicher zu sein, obwohl sie alle deutlich älter waren
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