Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
Yvette, die mit uns in die Kneipe gehen würde, wäre mindestens schon so gespannt auf ihn wie ich. Ich hatte Yvette gebeten, mich zu treffen, denn sie kannte sich so gut wie keine zweite auf dem Bankensektor aus.
Am Ende des Gesprächs klang Lolas Stimme längst nicht mehr so aufgeregt wie zu Beginn. Anscheinend war sie überzeugt, dass meine Aussichten auf eine Liebelei gen null gesunken waren.
Nachdem der Film vorüber war, hob ich als gute Hausfrau erst einmal die auf dem Fußboden verstreute Schmutzwäsche von meinem Bruder auf und fluchte dabei leise vor mich hin. Ein übervoller Aschenbecher balancierte auf dem Fenstersims, und ein Berg von schmutzigem Geschirr türmte sich auf seinem selbstverständlich ungemachten Bett. Ich konnte mich nur noch mit Mühe an den Mann erinnern, dessen Gäste ihre Schuhe vor der Tür ausziehen mussten, ehe sie in seine teure Wohnung eingelassen wurden. Vor seinem Zusammenbruch hatte er häufig Stunden in der Bond Street zugebracht und dort nach einem Hemd in einem ganz bestimmten Blauton oder nach einem Jackett mit einem ganz bestimmen Schnitt gesucht. Vielleicht gab es den alten Will ja noch in irgendeiner parallelen Welt, vielleicht hatte er dort noch immer seinen einträglichen Job und führte regelmäßig irgendwelche Schönheiten zum Essen aus.
Während ich die Wäsche in die Waschmaschine lud, hörte ich, dass er nach Hause kam. Er wirkte so entspannt, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihn wütend anzuschnauzen, weil er keine Ordnung hielt.
»Ich war auf dem Markt.« Strahlend stellte er die Tüte voll Gemüse auf der Arbeitsplatte ab. »Weil ich Risotto für uns kochen will.«
Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie verblüfft ich wegen seiner plötzlichen Verwandlung war. »Toll, dann lege ich mich währenddessen in die Badewanne.«
Langsam drang das duftende Lavendelöl in meine Poren ein. Der arme Jamie Wilcox ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sein Sohn war noch zu jung, um zu verstehen, dass sein Dad nie mehr nach Hause kommen würde. Es war einfach nicht zu fassen, dass jemand bereits mit fünfundzwanzig so grausam starb. Ich richtete mich auf und guckte zu, wie das Badewasser gluckernd durch den Abfluss lief. Wenigstens mein Bruder war anscheinend auf dem Weg der Besserung. Noch vor ein paar Tagen konnte er sich kaum vom Sofa hieven, doch inzwischen lungerte er nicht mehr nur den ganzen Tag herum und ging sogar wieder regelmäßig aus dem Haus.
Schließlich zwang ich mich, mich abzutrocknen, und verließ das Bad.
Will fuhrwerkte in der Küche. Es erschien mir wie ein Wunder, dass er ganz alleine etwas kochte, doch zum ersten Mal seit Monaten lief er derart geschäftig hin und her, dass das Klappern seiner Absätze auf dem Linoleumboden meinen Küchentisch erbeben ließ. Schließlich reichte er mir meinen Teller, doch noch ehe ich den Reis gekostet hatte, blickte er mich an und ließ die Bombe platzen.
»Ich werde bald ausziehen, Al.« Seine hellen Augen glitzerten vor Aufregung. »Ich werde nach Brighton fahren und von dort aus weiterziehen.«
»Weiterziehen? Wohin?«
»Ich weiß noch nicht genau. Die Wolken haben mir gezeigt, dass ich bald wieder anfange zu reisen. Nur haben mir bisher die richtigen Gefährten für den Trip gefehlt.« Sein kindlich offenes Gesicht verriet, dass er tatsächlich glaubte, dass sein zukünftiges Schicksal irgendwo am Himmel festgeschrieben war.
»Was sind das für Leute, Will? Wie lange kennst du sie?«
»Vielleicht seit einem Monat. Es sind anonyme Drogensüchtige wie ich.«
»Das ist nicht wirklich lange, und es gibt doch sicher keinen Grund zur Eile, oder?«
Als hätte ich mit meinem Satz sein Lächeln ausgeknipst, sah er mich düster an. »Ich wusste, dass du so was sagen würdest. Warum willst du nicht, dass ich mich amüsiere?«
»Ich will sogar unbedingt, dass du dich amüsierst. Aber deshalb brauchst du doch nicht alle Brücken hinter dir abzubrechen, oder?«
»Manche Brücken muss man sogar sprengen«, klärte er mich zornig auf.
»Okay«, sagte ich ruhig. »Trotzdem wäre es bestimmt nicht schlecht, dir etwas Zeit zu lassen, oder was meinst du?«
»Verdammt. Hör endlich auf, mich zu kontrollieren, Al«, schrie er mich an und beugte sich fast drohend zu mir über den Tisch. »Dein Problem ist, dass du so etwas wie Glück nicht mal erkennen würdest, wenn’s dir ins Gesicht schlüge.«
Will streckte die Hand nach seinem Gehstock aus und warf dabei sein Wasserglas vom Tisch. Dem
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