Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
vehement. »Ich vermisse auch die frische Luft, aber ich kann hier einfach nicht weg.«
»Dann bleiben Sie also auf Dauer hier?«
»Sophie möchte, dass ich bis zum Jahresende bleibe. Sie ist viel zu oft allein.« Ein Ausdruck des Ärgers huschte über ihr Gesicht.
Es überraschte mich, dass sie mir so offen zeigte, dass sie ihrem Schwiegersohn nicht gerade wohlgesinnt war. Aber offensichtlich war ihr Zorn so groß, dass er sich nicht länger unterdrücken ließ. Was ich ihr nicht verdenken konnte. Denn wahrscheinlich sah sie Tag für Tag, wie unglücklich Sophie in ihrer Ehe war, während Kingsmith einfach weitermachte wie bisher, ohne auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen.
Ich unterhielt mich noch ein wenig länger mit Louise, und sie erzählte mir, sie hätte sich ihr kleines Häuschen in St. Ives fünf Jahre zuvor gekauft, doch ihr Mann wäre gestorben, noch bevor es fertig renoviert gewesen war. Ich hatte das Gefühl, dass sie London aus tiefsten Herzen hasste, sie aber ihr Pflichtgefühl daran hinderte, von hier wegzuziehen. Als ich mich schließlich zum Gehen wandte, um zu sehen, was Andrew machte, sah Louise mir mit demselben etwas zögerlichen Lächeln wie zuvor schon ihre Tochter hinterher.
Jemand hatte die Musik noch weiter aufgedreht. In der Eingangshalle tanzten ein paar Frauen, und während das Pimm’s aus ihren Gläsern auf den Boden schwappte, flirtete der Gastgeber mit einer Frau in einem tief ausgeschnittenen roten Kleid. Als er mich jedoch erblickte, wandte er sich von ihr ab und lächelte mich an.
»Ich hoffe, meine Frau hat sich gut um Sie gekümmert, Dr. Quentin«, sagte er.
»Sie hat mir Molly vorgestellt.«
Er ging achtlos über diesen Kommentar hinweg. »Die Zusammenarbeit mit der Polizei muss doch ermüdend sein. Weil es die reinste Zeitvergeudung ist. Ich musste mir extra die Erlaubnis holen, dass ich unser Haus von unserer eigenen Security bewachen lassen darf.«
Es war mir nicht angenehm, dass er so dicht vor mir stand, und am liebsten hätte ich erklärt, dass es der Polizei die Arbeit erleichtern würde, wenn er ihnen endlich die Informationen gäbe, um die er gebeten worden war. Doch er wechselte bereits das Thema und bestätigte dadurch meinen Verdacht, dass das Einzige, was diesen Menschen wirklich interessierte, seine eigene Geschichte war. Nach vier Jahren Oxford hatte er zehn Jahre an der Wall Street zugebracht, war dann aber in unser kleines Königreich zurückgekehrt, als ihm von der Angel Bank der Posten des Direktors angetragen worden war. Trotz seiner Egozentrik war er eine seltsam faszinierende Persönlichkeit. Die Farbe seiner Augen wechselte in Fünf-Minuten-Intervallen je nach Laune zwischen Grau und Grün, und ich war so damit beschäftigt, seine Mimik zu studieren, dass ich erst zu spät bemerkte, dass inzwischen auch Sophie in den Flur gekommen war. Sie beobachtete uns, und ich schämte mich entsetzlich, denn sie war es sicher leid, dass alle Frauen wie gebannt in die Augen ihres Mannes sahen. Eilig trat ich einen Schritt zurück und atmete erleichtert auf, als Andrew auf der Bildfläche erschien.
Er schüttelte den Schreihals, den er immer noch im Schlepptau hatte, ab und atmete erleichtert auf, als er vor mir auf die Straße trat. »Tut mir leid. Aber es wäre unhöflich gewesen, mich nicht wenigstens zu zeigen.«
»Ihre Ehe ist ein bisschen schwierig, oder?«
»Wirklich?« Er bedachte mich mit einem überraschten Blick. »Dabei hatte ich gehofft, dass Max allmählich etwas ruhiger wird.«
»Das bezweifle ich. Seine Frau hat ihre Mum als Stütze akquiriert.«
»Fünf Minuten in einem vollen Raum, und schon hast du jeden Anwesenden eingehend analysiert.« Er grinste mich an und warf dann einen Blick auf seine Uhr. »Hast du schon etwas gegessen?«
Schließlich saßen wir in einem Restaurant direkt am Themseufer, und als Piernan unbekümmert seine Füße aufs Geländer legte, dachte ich, es wäre eine gute Gelegenheit, ihn noch mal auf den Warhol anzusprechen.
»Du hättest mir das Bild nicht schenken sollen.«
»Ich habe dir doch schon gesagt, dass es mich nichts gekostet hat.«
»Darum geht es nicht.«
Er wandte sich mir zu und unterzog mich einer eingehenden Musterung. »Sag jetzt bitte nicht, du wärst einer dieser Menschen, die nie etwas von anderen nehmen, weil sie Angst haben, dass die, die ihnen etwas schenken, sie vielleicht bestechen wollen.«
Ich atmete vernehmlich ein. »Etwas in der Art.«
»Ich versuche ganz bestimmt nicht,
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