Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
möglichst leise losgefahren wären, hätte das bestimmt niemand gehört.« Taylors Stimme hatte einen kalten, eindringlichen Klang. »Wir gehen davon aus, dass Sie Ihre Frau überfallen haben, Liam. Aber das bestreiten Sie doch sicher, oder nicht?«
Es hätte mich nicht überrascht, hätte Liam nur kraft seines Blicks zwei Löcher in den Plastiktisch gebrannt. Sein Gesicht sah aus wie in Stein gemeißelt, und als er auch nach mehreren Minuten nicht den Mund aufmachte, sah sein Anwalt Taylor an.
»Mein Mandant steht unter Schock, seit er verhaftet worden ist. Soweit ich sehe, gibt es keinerlei Beweis für seine Schuld und somit keinen Grund, ihn noch länger festzuhalten.«
Taylor ignorierte seinen Einwand und fuhr fort, wobei seine Stimme den nasalen Jammerton eines quengeligen Schuljungen bekam. »Ihre Haushälterin macht sich große Sorgen, Liam. Sie hat uns erzählt, Sie benähmen sich seit ein paar Tagen wirklich seltsam, sprächen mit sich selbst und brächen sogar vor den Jungs in Tränen aus. Und Ihr Mountainbike ist nicht mehr da. Ein seltsamer Zufall, dass der Mann, der Nicole überfallen hat, Rad gefahren ist, finden Sie nicht auch?«
Morgans Schultern fingen an zu zucken.
»Wenn Sie dazu fähig waren, das Gesicht von Ihrer eigenen Frau in Fetzen zu schneiden, ist die Chance groß, dass Sie auch der Mörder der drei anderen sind.«
»So dürfen Sie nicht mit meinem Mandanten reden«, schnauzte ihn der Anwalt an. »Das ist Schikane.«
»In diesem Augenblick durchkämmen zehn von unseren Jungs Ihr Haus und stellen dort alles auf den Kopf.« Obwohl dicke Schweißtropfen auf seinem Schädel glänzten, grinste Taylor breit. »Deshalb wäre es am besten, uns jetzt alles zu erzählen, glauben Sie nicht auch? Die meisten Geschworenen lieben rührselige Geschichten, und Sie können behaupten, Sie litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung oder so.«
Langsam, aber sicher geriet Liam aus dem Gleichgewicht. Während er sich zwang, auch weiter nichts zu sagen, konnte ich unter der Tischplatte sehen, wie er unruhig mit den Beinen wippte.
»Ihre Kinder tun mir leid.« Taylor beugte sich zu ihm über den Tisch. »Sie werden ihnen einiges erklären müssen, nicht?«
Urplötzlich bekam Morgan ein zornrotes Gesicht. Wahrscheinlich träumte er davon, quer über den Tisch zu springen und Taylor den Hals umzudrehen, und sein Anwalt murmelte erbost etwas von einer Anzeige gegen die Polizei.
Burns und ich flohen in sein Büro, und ich las ihm meine Bewertung vor. Morgan hatte bei Erregung, Stress und auch Vermeidung fast den höchstmöglichen Punktestand erreicht. Aber ein Geständnis war das nicht.
»Seiner Körpersprache nach zu urteilen, hat er sie überfallen, ist sich dessen aber nicht bewusst«, erklärte ich. »Wenn es ihm bewusst wird, besteht die Gefahr, dass er einen Selbstmordversuch unternimmt. Ich glaube, mit den Morden hat er nichts zu tun. Irgendeine Krise hat den Überfall auf Nicole ausgelöst, und jetzt kann er nicht glauben, dass er selbst sie so verstümmelt hat.«
Burns schüttelte den Kopf. »Wir müssen trotzdem überprüfen, ob er für die Morde ebenfalls in Frage kommt. Die Person, die leidet, ist nicht er, sondern Nicole. Morgen wird sie noch mal operiert – und die Journalisten schwirren wie die Schmeißfliegen um sie herum.«
Schließlich gingen wir wieder nach vorne in den Einsatzraum. Inzwischen hielt Taylor dort Hof und erklärte lang und breit, weshalb nur er die Fähigkeit besaß, den Mann zu überführen, der aus seiner Sicht der Angel Killer war. Gleichzeitig war er so sehr damit beschäftigt, in den Ausschnitt einer der jungen Telefonistinnen zu starren, dass ihm keine Zeit für einen hämischen Blick in unsere Richtung blieb. Er bildete sich offenkundig allen Ernstes ein, ein Frauenschwarm zu sein – deshalb auch der Henkersknoten in seiner Krawatte, die eng sitzenden Jeans und das aufdringliche Aftershave. Das alles waren Attribute, um seinen maskulinen Charme noch zu erhöhen.
»Was wissen Sie über Morgans Militärzeit?«, wandte ich mich wieder an Burns.
»Er war zehn Jahre bei den Royal Yorkshires und wurde dort mehrfach für besondere Tapferkeit ausgezeichnet. Eine der Medaillen wurde ihm dafür verliehen, dass er einen verletzten Kameraden in Afghanistan quer über ein Minenfeld geschleppt hat, und zwar ganz allein. Vor sechs Jahren hat er den Dienst quittiert.«
»Und ist immer noch traumatisiert.«
Er massierte sich den Nacken. »Seit dem Überfall hat
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