BLUTIGER FANG (German Edition)
Strecke geschwiegen – die Löwen sollten sie nicht zu früh hören, das wünschte er zumindest. Doch es war unrealistisch, dass dies nicht der Fall war.
„Was ist los? Warum bleibst du stehen?“ Joel musste sich anstrengen, nicht zu laut zu werden.
„Was soll ich jetzt machen?“ Bronco klang ängstlich, seine Knie schienen zu zittern.
„Lass die Hosen runter und führ’ ein Tänzchen auf, zittern tust du ja schon“, Joel atmete durch. „Na, was wohl? Blödmann! Du gehst jetzt rein, gaaaanz vorsichtig, und öffnest gaaaanz vorsichtig den Lichtkasten und sorgst für Helligkeit. Wenn du versuchst zu fliehen, knall ich dir den Pfeil in den Schädel. Wenn du ins Restaurant fliehen willst: Bitte schön, immer nur voran.“
Er hatte Bronco in der Zwickmühle. Die Alternative hieß: Pfeil oder Löwen!
„Hör auf zu zittern, man hört ja die Schlüssel“, flüsterte Joel. Er bewegte sich, ohne dass Bronco es sehen konnte, allmählich immer weiter nach links auf die großen Schränke zu, die an der Wand unweit des Eingangs zum Restaurant standen.
Bronco klimperte immer noch unfreiwillig mit den Schlüsseln. Doch plötzlich war der nicht mehr zu hören. Hatte er die Faust um den Bund geballt?
„Jetzt erweis dich als echter Edelmann und hilf deiner Freundin.“ Mit diesen Worten verlor Joel Bronco aus dem Blick, weil der ins Restaurant trat und hinter der Eckwand verschwand.
Joel hörte ihn am Lichtkasten herummachen. Offenbar suchte er das Schloss.
Rückwärts schlich Joel vollends zu den Schränken, ohne dabei den Eingang zum Restaurant aus den Augen zu lassen, den er von der Seite noch gut sehen konnte. Erst als er sich zwischen zwei Schränken versteckte, war er etwa auf gleicher Höhe wie der Eingang selbst und die Sicht nicht mehr möglich.
Joel entdeckte bei einem der Holzschränke, dass der ein wenig offen stand und völlig leer war. Er zog den Schlüssel aus der Schranktür, ging hinein und lehnte die Tür nur an, so dass er durch den Spalt noch was sehen konnte. Im Notfall konnte er die Tür von innen zuziehen und – auch das checkte er aus – sogar verriegeln. Klasse Versteck! Jetzt saß er sozusagen in der ersten Reihe, um sich das Spektakel anzuschauen, das er gleich erwartete.
Er wandte sein Augenmerk Richtung Restaurant.
Dort blieb alles ruhig.
Noch war es dunkel und er hörte Bronco am Lichtkasten. Wahrscheinlich zitterte er so, dass er den Schlüssel nicht ins Schloss bekam.
Dann verriet ein leises Quietschen, dass offenbar der Deckel aufging.
Plötzlich fiel ein heller Lichtschein aus dem Restaurant und Joel hörte auch ein leises Zischen. Was war das? Das Zischen wurde sofort von einem dumpfen Grollen übertönt, von dem klar war, was es bedeutete.
Bronco stürzte aus dem Restaurant und rannte auf der linken Seite der Rolltreppe in die Abteilung Weiße Ware und immer weiter fort. Sein Schatten verlor sich schnell in der Dunkelheit.
Kaum war Bronco außer Sichtweite, kamen die Löwen heraus. Sie waren zwar, wie Joel gleich sah, im Laufschritt befindlich, aber keineswegs im Angriffsspurt. Sonst hätten sie Bronco mühelos eingeholt. Nein, sie sahen eher verärgert aus, aufgestoben, als hätte man sie beim Dösen gestört.
Joel sah, wie die Großkatzen auf seiner Seite, rechts von den Rolltreppen, nach hinten liefen und bald zwischen den Regalen der Spielwarenabteilung verschwanden.
Er empfand die reinste Bewunderung für sie. So hätte er einmal, wenigstens ein Mal, Bronco durch seine bloße Präsenz verjagen können wollen!
Der hatte indes unverschämtes Glück gehabt. Sie hatten ihn nur verscheucht, verjagt, vermutlich eher unabsichtlich, und nicht gejagt. Sonst hätten sie ihn gleich im Bereich des Eingangs geschnappt und aufgeschlagen.
So hatte dieses Schwein jetzt auch noch Glück gehabt – immer die Falschen! Kopfschüttelnd blickte Joel zur Spielwarenabteilung.
Die Löwen waren weg.
Seine Lichttheorie hatte sich als richtig erwiesen. Es war sogar zu erwarten, dass, so lange das Restaurant hell blieb, die Löwen ihm auch fernbleiben würden, bis endlich die Bullen hier wären.
33
Joel trat aus dem Schrank und lief zügig zum Restaurant, wobei er die Armbrust in der linken Hand hielt und mit der rechten prüfte, ob er die Pistolen noch hatte.
Wo blieben denn verdammt noch mal die Hilfe? Die zehn Minuten waren längst um. Allmählich schwante ihm, dass sie nicht mehr kommen würden. Bronco war ja in das Büro des technischen Pförtners zurückgegangen; nun
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