BLUTIGER FANG (German Edition)
Zeit, um sich etwas aufzurichten. Sie sah die gewaltige Bisswunde an der Seite und wollte vor Verzweiflung aufschreien.
Nein, bloß nicht, nicht jetzt, dazu ist keine Zeit!
Sie schaute zum Notausgang, zu dem es nur wenige Meter waren. Sie konnte es schaffen, solange die Löwen sich stritten. Sie musste es probieren, vielleicht konnte sie ja so doch noch entkommen.
Sie richtete sich halb auf.
Das linke Bein schmerzte entsetzlich und an der Hüfte spürte sie die durch den Biss weit offen klaffende Wunde, aus der das Blut ihr Spaghetti-Shirt schon durchgeweicht hatte. Gesicht, Hals und Brust waren ebenfalls blutüberströmt und glänzten an den Stellen, wo sie es nicht waren, vor Angstschweiß, den sie am ganzen Körper spürte. Auch ihre Hände, mit denen sie sich gerade übers Gesicht fuhr, waren ganz dunkel von der Farbe des Blutes.
Während die Löwen kämpften, versuchte sie sich auf den Ausgang zu konzentrieren und bewegte sich auf Knien darauf zu. Sie spürte, wie das Blut aus der Seite des Bauches auf den Boden hinunterlief.
Linda wagte nicht, sich umzuschauen, sondern versuchte, sich auf die Tür zu konzentrieren. Sie betete still, dass sie nicht verschlossen sei.
Mühsam, Zentimeter um Zentimeter, schleppte sie sich vor und hörte dabei das böse Gezeter der Löwen.
Sie schleppte sich weiter und weiter.
Fast schon an der Tür, streckte Linda langsam und zitternd die Hand nach der Klinke aus.
Plötzlich verstummte das Kampfgetöse ohne jede Voranmeldung.
Linda verharrte wie im Schockzustand.
Sie spürte die gierigen Blicke der Löwen wie Nadelstiche auf ihrer Haut!
Und sie wusste, was das bedeutete, fühlte, dass es nicht gut war.
Sie wandte sich nicht um, wagte nicht zu sehen, was der Spielstand war im kurzen Kampf der Löwen.
Sie wagte auch nicht zu hoffen, dass Bronco mit der Pistole dastand und sie aus den Klauen der Löwen befreite.
Nein, sie blickte nicht um sich.
Sie hoffte, durch das Nichthinschauen auch nicht betroffen zu sein. Es musste doch irgendwie jemand anderes gemeint sein! Es konnte sich doch nicht um sie drehen!
Nein!
Nein!
Doch der Gang der Dinge belehrte sie eines Besseren.
Rasend schnell entfernte sie sich von der Tür. Wie ein Kind von einer Rutsche, schleifte sie auf dem Boden in Sekundenfrist über den rauen Teppich ein gutes Stück von der Tür weg.
Der Pascha hatte sie an der Wade gepackt und zog sie – als hätte er verstanden, was sie vorhatte – in die Mitte der freien Fläche vor dem Notausgang.
Sie lag jetzt auf dem Bauch und versuchte, mit den Händen Kopf und Nacken zu schützen.
Der Pascha biss sie in den rechten Oberschenkel und zog sie hoch.
Plötzlich lockerte er den Griff und sie fiel rückwärts auf den Boden.
Die Löwin war verschwunden.
Der Pascha hatte sie offenbar vertrieben und konnte sich jetzt Linda vorknöpfen.
Sie musste miterleben, wie sich der gewaltige Rachen über ihrer rechten Brust schloss und sie wegriss.
Linda schrie vor Entsetzen auf, was der Löwe mit einem wilden Fauchen beantwortete.
Ihr Ton war verstummt. Sie schrie noch, doch sie hörte sich selbst nicht mehr.
Lindas Überlebenswille verhinderte, dass sie ohnmächtig wurde. Seine Formel lautete: Wach bleiben! Unbedingt wach bleiben! Solange sie wach blieb, konnte sie noch etwas tun. Ohnmacht dagegen hieß Tod, hieß, sich der Gewalt überlassen. Wieder biss der Pascha zu.
Entsetzt und im Adrenalin schier ertrinkend, nahm sie wahr, wie er sie bei lebendigem Leib ausweidete und Teile des Fleisches vor ihren Augen zermalmte. Erst als sie sich vor Schmerzen streckte, den Kopf dabei nach hinten reckte, und der Pascha sie in den Hals biss, dessen weiches Fleisch unter den gewaltigen Kiefern und den langen Zähnen wie geschmolzene Butter nachgab, fühlte sie eine erlösende Ohnmacht, von der sie wusste, dass sie in den Tod hinüberführen würde.
Der Pascha schloss seinen Rachen noch mehr, hielt mit den Vorderpfoten ihre Schultern am Boden festgedrückt und riss ihr den Kopf ab.
Mit den letzten Gehirnströmen, die ihr verblieben, sah sie Bronco vor sich. Er sah seltsam aus. Wie das Negativ einer Fotografie war er sonderbar schwarz und weiß umrändert. Seine Augen funkelten schneeweiß. Die Zahnreihen, die sich zu einem eigenartigen Lächeln formierten, waren schwarz.
Linda versetzte dieses Bild in einen Taumel.
Sie fühlte plötzlich gar keine Schmerzen mehr. Sie empfand sich als leicht, um nicht zu sagen, glücklich. Eine große Last war von ihr gefallen.
Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher