BLUTIGER FANG (German Edition)
nehmen, umklammerte ihr Genick und wollte sie niederdrücken.
Sie merkte das ganz schnell und dann wurde Bronco mit einer Körperkraft konfrontiert, wie er sie noch nie erlebt hatte. Und zu der immensen Kraft der Löwin kam noch die katzenartige Beweglichkeit. Sie hatte sich unglaublich schnell von ihm losgerissen und ihm dann mit der rechten Pranke eine gelangt, dass Broncos Schädel, der etwa einen halben Meter über dem Boden war, mit einem dumpfen Geräusch aufschlug.
Jetzt rührte er sich nicht mehr.
Joel beobachtete den ungleichen Kampf weiter. Wie der gebannte Zuschauer bei einem Unfall stand er einfach nur da und unterlag einem Zwang, zusehen zu müssen, was sich da innerhalb von ein paar Minuten abspielte.
Doch in seinem Inneren rumorte es. In Sekundenschnelle flogen ihm Gedanken durch den Kopf wie ein Schwarm aufgescheuchter Tauben. Und die kreisten um eine Frage: Sollte er die Löwin töten, um Bronco zu retten? Oder um zu retten, was noch zu retten war?
Er müsste dafür allerdings hinüber zum Rumpf Franks, wo die Armbrust lag. Dabei würde er in das Gesichtsfeld der Löwin kommen, die vermutlich nicht zögern würde, auch ihn anzugreifen.
Joel hatte jedoch grundsätzliche Zweifel: Sollte er sein Leben riskieren und eine Löwin töten, um einen ihm verhassten Menschen zu retten? Einen, der zudem bewiesen hatte, dass er bereit gewesen war, ihn zu töten? Sollte er das tun? Ausgerechnet er, der auf den Schutz von Tieren den größten Wert gelegt hatte? Er, dem der Tod seiner Katzen noch in den Knochen lag und der unter anderem auch deswegen seinen Vater hasste?
Bronco verblieb reglos am Boden.
Die Löwin hatte sich neben ihn gelegt und schien den nächsten Fluchtversuch abzuwarten.
Joel wusste, wenn er nicht schon tot war, würde er spätestens in der nächsten Runde sterben. Seine Kämpferqualitäten waren eine Sache, die Kraft eines Tieres, das die Evolution dazu ausersehen hatte, in freier Wildbahn Zebras umzureißen, eine ganz andere. Das war nicht irgendein Hund, den man unter Schlägen in die Pit schickte, oder ein schwächerer Artgenosse, dem man nach Lust und Laune auf die Schnauze haute, nachdem man sich vorher mit ihm einen Spaß gemacht und ihn gedemütigt hatte.
Joel wurde klar, wie sich die Ironie des Schicksals in eine bittere Lehrstunde verwandeln konnte: Denn jetzt konnte Bronco sehen, wie es war, von einem Tier niedergemacht zu werden und dabei wie gelähmt zu sein vor Todesangst.
„Joel!“
Joel zuckte zusammen und blickte aus seiner Gedankenverlorenheit auf. Er sah, dass die Löwin und auch Bronco liegen geblieben waren.
Er lebte also noch.
Da aus Sicht der Löwin offenbar gerade Kampfpause war, dachte Joel weiter nach.
Ging es nicht den Ratten, Affen und Kaninchen ebenso, wenn sie bei diesen abscheulichen Hundekämpfen ihr Leben lassen mussten? Und wieder: Welche Ironie! Der Tiermörder wurde jetzt selber dahingemetzelt von einem Tier, dem gegenüber er der reinste Schwächling war und das sich einen Dreck scherte um seine Kampfkünste, seine große Klappe oder den sozialen Status. Jetzt war Bronco dran, jetzt durfte er leiden. Joel erschien es wie ein Wink des Schicksals, dass die Löwin Bronco und nicht ihn angegriffen hatte – er wusste, genauso gut hätte er dran sein können. Dann riss er sich aus diesen Gedanken.
Jetzt musste gehandelt werden!
Viel Zeit würde ihm dafür nicht bleiben. Schon deswegen nicht, weil er selbst bald ein Problem bekommen würde. Denn das Spiel mit Bronco würde nicht ewig gehen, die Löwin würde nicht die ganze Nacht dort liegen bleiben. Außerdem konnte der Pascha jederzeit auftauchen, über dessen Verbleib sich Joel die ganze Zeit schon wunderte. Dass zudem auch von Linda keine Spur mehr zu sehen oder zu hören war, ließ ihm die dunkelsten Vermutungen fast zur Gewissheit werden.
Der Ansatz zum unmittelbaren Handeln wurde unterbrochen, denn nochmals schob sich die quälende Frage nach vorn: Sollte er ein Tier töten, um einen Menschen zu retten, den er nicht nur hasste, sondern der darüber hinaus heute Nacht an ihm auch zum Mörder geworden wäre? Und der bereit gewesen war, nicht nur ihn zu töten, sondern auch die eigene Freundin zu opfern, nur damit erüberlebte, bereichert hier herauskam und nicht ins Gefängnis musste? All diese Gedanken rannten in ihm umher wie Kakerlaken in der Dunkelheit.
Doch trotz dieser Überlegungen, trotz aller Hemmungen, gab er sich einen Ruck und schlich, als die Löwin gerade in die andere
Weitere Kostenlose Bücher