BLUTIGER FANG (German Edition)
vom Flur ein Geräusch herein. Die Haustür wurde gerade geöffnet.
„Mutter ist da!“, rief Joel.
„Ja, und? Soll ich jetzt ‘n Kniefall machen?“ Nach einer Pause sagte er, wobei er grinsend mit der Waffe gegen die Küchentür zielte: „Der Alten sollte man eher mal eine Lektion erteilen.“
Joel ging an Vater vorbei Richtung Kühlschrank.
Plötzlich packte der ihn mit einem beinharten Griff am Oberarm. „Hier geblieben, Freundchen. Willst du denn nicht deine Mammi begrüßen?“
Sie hörten gedämpfte Schritte im Flur, die allmählich lauter wurden.
Die Tür ging auf und Mutter trat ein. Sie lächelte gezwungen und stellte zwei Einkaufstüten auf dem Boden ab. Als sie sich aufrichtete, weiteten sich ihre Augen. „Äh! Was macht denn die Ka- …?“ Sie hielt sich die Hand vor den Mund, blickte zu Joel, dann zu ihrem Mann, der ruckartig den Kopf umwandte.
Joel spürte, wie Vater augenblicklich von etwas Gewaltigem gepackt wurde, als er Hänsel den Thunfisch fressen sah.
„Ja, was ist denn hier los?“, schrie Vater. Seine Stimme dröhnte wie ein Bohrer.
Joel zuckte zusammen und sah Mutter an, die ebenfalls unter der Stimme ihres Mannes erzitterte.
„Habe ich nicht hundertmal gesagt, dass Viecher hier nicht rein dürfen?“
„Vater …“
„Halt’s Maul!“
Vater riss sich vom Stuhl hoch, der hinter ihm auf den Boden fiel.
Der Kater sprang auf den Kühlschrank zurück.
Jetzt sah der Alte auch die Salatölpfütze auf dem Kühlschrank und ihm musste klar werden, dass der Kater sich die ganze Zeit schon bedient hatte.
„Wieso hast du nichts gesagt, Sohn? Wieso hast du nichts gesagt?“ Vater fuchtelte mit dem erhobenen Zeigefinger der einen und der Waffe in der anderen Hand in der Luft herum.
„Ich … ich wollte …“
„Du wolltest was? Hast geglaubt, kannst mich verarschen, was? Lässt mich sitzen, während das Drecksvieh hinterrücks den Salat leer macht, was?“
Vater hob die Pistole hoch und zielte überraschend ruhig und überlegen. Die Wut schien ihn schlagartig sogar vom Alkohol ernüchtert zu haben.
Joel und seine Mutter verharrten wie gelähmt.
Plötzlich war es ganz still in der Küche.
Hänsel saß noch immer auf dem Kühlschrank. Da sich bei der Streiterei niemand um ihn gekümmert hatte, kam er nicht auf die Idee, dass es um ihn ging. Statt zu flüchten, steckte das ahnungslose Tier seinen Kopf wieder in die Salatschüssel und wollte das nächste Stück ergattern.
„Jetzt guckt euch das Mistviech an“, sagte Vater. Er zielte in aller Ruhe weiter, wobei er ein Auge zukniff. „Aber wartet’s nur ab: Den haben wir gleich.“
„Vater, bitte nicht! Ich mach das wieder gut. Ich geh gleich los und kauf uns von meinem Geld was zu essen.“ Joels Ton klang wie ein Bittgesang.
Doch Vater hörte nicht. Stattdessen zielte er weiter auf den Kater, dem er wohl einen Kopfschuss verpassen wollte. Doch ging dies im Moment nicht, weil er seinen Kopf in der Schüssel hatte.
Plötzlich hörte Joel die hohe Stimme der Mutter. „Ludwig, sei doch vernünftig …“
„Maul!“
Joel löste sich aus seiner Lähmung. Er sprang auf Vater zu und schubste ihn weg. Dann eilte er zum Kühlschrank und war im nächsten Moment schon bei Hänsel. Er packte ihn und warf ihn durch das offene Fenster hinaus ins hohe Gras.
„Du wagst es?“, sagte sein Vater und starrte ihn an. Sein Ton war eiskalt.
Joel drehte sich um.
Vater kam mit vorgehaltener Waffe auf ihn zu. „Soll ich dich abknallen , he? Willst du das?“
Vater versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht.
Joels Brille fiel auf den Boden. Er hob sie auf und schaute seinem Vater hinterher, der wild entschlossen in den Flur hinausstürmte.
Joel wollte sofort hinterher, wurde aber von seiner Mutter aufgehalten.
„Joel, nicht. Es ist zu gefährlich.“
„Lass mich los, Mama, der bringt Hänsel um … der bringt Hänsel um!“
Plötzlich hielten beide inne.
Sie hörten ein ungewöhnliches Geräusch, das sie noch nie in diesem Haus gehört hatten. Es machte Knopp, dann noch mal, und noch mal!
Joel stürmte in den Flur.
„Ha, den hab ich erledigt. Hat wieder in den Flur geschissen.“
Vor ihm lag Gretel und regte sich nicht mehr. Sie war wohl auch aus dem Fenster gesprungen, um das Haus herumgelaufen und durch die Haustür, die Mutter anscheinend offen gelassen hatte,
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